Wenn in Hönow ein seltsam gekleideter Polizist am Tor zum Schützenverein steht, dann kann das nur zwei Gründe haben: entweder es hat jemand die Kanone des Vereins aus dem Schuppen geklaut, oder Wolfgang Schüler lädt zu einer Buch­lesung. Zum Glück war Letzteres der Fall. Und wie seine Ver­kleidung vermuten lässt, geht es nicht um griechische Mythen oder altchinesische Heilmethoden, sondern um Krimis.
Andreas Wieczorek, der Vorsitzende des Schützenvereins, hat in seiner Begrüßungsrede auch gleich klar gestellt, dass kein aktueller Kriminalfall vorliegt, sondern dass man Wolfgang Schüler als Vereinsmitglied gebeten hat, aus seinem neuesten Buch zu lesen - natürlich im Heim des Schützenvereins auf dem Hönower Anger. Dieses am Pfarr­haus angrenzende Gebäude ist von der Kirchengemeinde gepachtet und von den Vereinsmitgliedern in unendlich vielen Arbeitsstunden hergerichtet worden. Und das ist so geschickt erfolgt, dass der größte Raum im Haus sowohl als Schieß­anlage, als auch aus Raum für größere Feiern genutzt werden kann, ohne dass der jeweils andere Zweck erkennbar ist.
Damit alle gleich am Anfang wissen, mit wem sie es zu tun haben, hat Wolfgang Schüler zunächst ein Video eingelegt: Den Mitschnitt einer RBB-Sendung, in der er einmal ausführ­lich vorgestellt wurde. Das Filmchen war schon etwas älteren Datums: Reporterin und Hauptdarsteller sind inzwischen etwas "gereift", wie man das Altern bei Promi's nennt. Aber so wie beim Obst ist es auch hier: Je reifer, desto besser! Wolfgang Schüler, der als studierter Jurist zunächst für ver­schiedenste Zeitungen Gerichtsberichte geschrieben hat, ist inzwischen zum geachteten Krimi-Autor avanciert. "Nebenbei" ist er Rechtsanwalt und bis 2003 war er Bürger­meister der seinerzeit eigenständigen Gemeinde Hönow.
Noch ein tiefer Schluck von dem, was man hier in Deutschland statt Whisky angeboten bekommt (gesprudeltes Wasser!), dann ging es los: Zum Vortrag kamen Passagen aus dem spannenden Buch "Sherlock Holmes in Berlin", das gerade im kbv-Verlag erschienen ist. Es ist Teil einer Reihe von Büchern, in denen Sherlock Holmes (natürlich zusammen mit Dr. Watson) zu seiner Zeit, mit all seinem Gehabe und vor allem mit seinem unverwechselbaren Spürsinn in Städten außerhalb seiner Heimat auftritt.
Ein "echter" Sherlock Holmes-Krimi also, der aber zusätzlichen Reiz dadurch erhält, dass man die Orte der Handlung kennt und dass da eine wahre historische Begebenheiten eingebaut wurde: Der Fund des größten vorgeschichtlichen Goldschatzes Deutschlands in Eberswalde kurz vor dem ersten Weltkrieg. In Wolfgang Schülers Krimi wird dieser Goldschatz in der Nacht vor seiner Präsentation gestohlen und kein geringerer als Sherlock Holmes, der sich gerade auf einer Privatreise in Berlin aufhält, zur Lösung des Falls engagiert.
Wie das ausgeht, ist an diesem Abend selbstverständlich nicht verraten worden. Wer würde denn dann noch das Buch kaufen und sich vielleicht noch wegen einer Widmung auf dem Deckblatt anstellen? Der Selbsterhaltungstrieb eines Schriftstellers gebietet es, bei einer Lesung den Ausgang der Geschichte völlig offen zu lassen. Aber vermutlich liegt man nicht ganz falsch, wenn man davon ausgeht, dass Sherlock Holmes auch diesen Fall löst. Sonst hätte man ihn ja wohl nicht für einen weiteren Fall engagiert, über den Herr Schüler in seinem nächsten Buch berichten wird: "Sherlock Holmes in Dresden". An diesem Abend bleibt also ungeklärt, wie Sherlock Holmes dem Eberswalder Übeltätern auf die Schliche kommt.
Auch den Damen, die den Tisch des großartigen Krimi-Schreibers belagerten, konn­ten diesem das Geheimnis nicht entlocken. Dazu muss sich schon in eine Buch­handlung begeben und nach "Sherlock Holmes in Berlin" fragen oder hier zu­schlagen und sich für den (hoffentlich bald) kommenden Sommer mit Lektüre eindecken.
Ein paar wenige Gäste kannten die Räumlichkeiten der Schützen noch nicht und haben die Gelegenheit genutzt, sich in den schmucken Räumlichkeiten des Vereins umzusehen. Allein die Deko lässt darauf schließen, dass es hier ein munteres Vereinsleben gibt.
Ein fragender Blick genügte, und schon stand einem Andreas Wieczorek, der Vorsitzende des Vereins, zur Seite und erzählte vom Umbau des Gebäudes zum Vereinsheim: Viel Fleiß und Geduld s einige finanzielle Aufwendungen waren erforderlich, um alles so freundlich und praktisch herzurichten. Und natürlich hat er auch von den Wettbewerben erzählt, an denen Vereinsmitglieder teilgenommen haben, und von den Auftritten in historischen Uniformen, die es zu verschiedenen Anlässen wie der 750-Jahr-Feier Hönows gab.
Und so wurde aus der Buchlesung mit Wolfgang Schüler nicht nur ein sehr unterhaltsamer, sondern auch noch ein lehr­reicher Abend. Viel konnte man da über das Vereinsleben im
Schützenverein Hönow e. V.
erfahren und über das ausgesprochen gute Verhältnis zum Pfarrer und zur Kirchengemeinde, auf deren Gelände die
6pfündige Fuß-Batterie Nr. 9
der brandenburgischen Brigade
Quartier bezogen hat. Offenbar sind die Herren und Damen des Vereins trotz der Waffen im Schrank und der Kanone im Schuppen ein sehr friedliebendes Völkchen.