Wer im November/Dezember 2016 durch Eiche gekommen ist, wird festgestellt haben, dass der dortige Anger völlig umgestaltet wurde. Vor ein paar Jahren ist dort schon der Feuerlöschteich nebst Geräteschuppen verschwunden, jetzt steht an dieser Stelle ein Pavillon wie in einen Kurort und ein Stück weiter eine Feuerstelle und eine runde Sitzgelegenheit.
Wozu das alles zu gebrauchen ist, zeigte sich spätestens am 3. Advent 2016 zum traditionellen Eichner Adventsmarkt.
Seit über 10 Jahren findet schon in Eiche ein Adventsmarkt statt, und seit 8 Jahren wird dabei Theater gespielt. Mit dabei waren immer Hans und Hedwig (Hedi) Meusel, meist als Königspaar, das stets Mühe hatte, dem Sohn eine standes­gemäße Braut zuzuführen. Aber immer hat's geklappt.
Grund genug, den Beiden mal ein Stück zu widmen.
Zum Vortrag kam nun dieses Jahr beim Markt das Stück vom „Hans im Glück“, das heißt eine Rückblende auf die glück­licherweise erfolgreich verlaufenen Paarungsbemühungen des späteren langjährigen LPG-Vorsitzenden und Bürger­meisters, des geschätzten Ortschronisten Hans Meusel.
Ihm und seiner Hedi wurden Ehrenplätze am Bühnenrand zugewiesen, unbeheizt und zugig. So geht man heute mit Königshäusern um ... Nun aber zur Handlung:
Vor vielen, vielen Jahren ruft in einer mitteldeutschen Bergregion ein Tischlermeister seinen Gesellen zu sich, um ihn nach bestandener Lehrzeit zu verabschieden. Der Meister war so zufrieden mit seinem Gesellen, dass er ihm zum Abschied einen großen Goldklumpen schenkte. Die Meisterin meinte zwar, dass weniger auch gereicht hätte, aber damals hatte noch der Herr im Haus das Sagen.
Der Hans überlegt lange, was er denn mit dem dicken Goldklumpen anfangen sollte. Er könnte ihn zum Beispiel für die streikenden Lufthansa-Piloten spenden, aber die waren damals noch nicht so unverschämt in ihren Geldforderungen.
Also macht er sich erst mal auf den Weg, um die Welt zu erkunden, die ja für einen Ostdeutschen nicht so riesig groß war - aber groß genug, um viele Abenteuer zu erleben.
Kaum auf die Straße getreten, wurde er auch schon von einer etwas bunt geratenen Biene Maja in Begleitung eines singenden Luftballons umschwirrt. Was soll denn dieser Unfug, oder ist es nur eine Sinnestäuschung?
Viel Geld soll ja angeblich die Sinne trüben - das behaupten zumindest einige beim Blick über den „großen Teich“.
Welch Glück ist es da, dass „Hans im Glück“ kurz darauf auf einen nette Dame trifft, die früher mal für wenig Geld Betten ausgeschüttelt hat und jetzt Chefin eines florierenden Logistikunternehmens namens „Hollerando“ ist.
Sie ist bereit, dem Hans ihre Firma mit dem kompletten Fuhrpark und allen Lagerbeständen zu vermachen.
Während vor 25 Jahren die Treuhand eine ganze D-Mark für manchen Großbetrieb verlangt hat, würde sich Frau Holle mit einem Goldklumpen für ihr Unternehmen zufrieden geben.
Dieses Angebot lässt sich Hans nicht entgehen und schon zieht er den im Tausch gegen den Goldklumpen erworbenen Fuhrpark und Lagerbestand von Hollerando durch die blühende, märkische Landschaft. So viel Reichtum zieht natürlich Glück und weiteren Reichtum an - dazu aber später.
Zunächst müssen wir unser Augenmerk der zweitschönsten und deshalb nur zweitglücklichsten Frau im Lande widmen. Der Spiegel hat (wie oft auch die gleichnamige Zeitung) die Wahrheit gesagt und damit Zorn auf sich gezogen.
Angeblich ist Schneewittchen noch schöner und glücklicher als die Kanzlerin. Oder wer war das vorm Spiegel?
Unser Hans ist regelrecht von einer Glückssträhne gepeinigt. Kaum ist er Chef des ganz sicher gewinnträchtigen Logistik-Unternehmen, da bietet sich ihm die Chance, dieses äußerst vorteilhaft abzustoßen und in die Touristikbranche einzusteigen.
DHL (= „dauert halt länger“) übernimmt seinen Fuhrpark und macht Hans zu einem Start-Up im Bereich des Fahrradtourismus. Auch wenn er zunächst nur ein klappriges Fahrzeug erhält - der Anfang ist gemacht und zum Beginn der 90er sind manche viel schlimmer besch... (beschummelt) worden.
DHL, nun im Besitz eines leistungsfähigen Fuhrparks, kann endlich den Großauftrag erledigen, den das Unternehmen mit reichlich Zocken in der Ausschreibung gewonnen hat:
Die Auslieferung einer Apfellieferung an Schneewittchen!
Schneewittchen ist hocherfreut ob der Aufmerksamkeit, die ihr da von unbekannter Seite zu Teil wird. Hier rächt sich, dass sie nie Nepper, Schlepper, Schneewittchenfänger gesehen hat. Sie glaubt, dass nur Gutes im Paket sein kann, wenn sich DHL extra auf den Weg zu ihr macht. Keine Frage nach Herkunftsort, Anbaubedingungen, Transportweg, Schadstoff­belastung und möglichen Konservierungsstoffen!
Und so ergeht es ihr wie vielen, die Lebensmittel aus unbekannter Herkunft und mit verschleierten Inhaltsstoffen zu sich nehmen - sie sinkt mit schwerem körperlichen Schaden in das glücklicherweise bereitstehende Bett.
Dabei hätte sie nur die Umweltsiegel auf der Verpackung zählen brauchen - bei weniger als 5 Engeln und Ampeln sollte man wirklich skeptisch sein! Auch wenn weniger als zwei Umweltminister auf der Verpackung unterschieben haben.
Der gelehrige Herr mit dem großen Buch weist außerdem darauf hin, dass man nicht unbedacht in jeden Apfel beißen sollte, wenn man Schneewittchen heißt. Rotkäppchen ist ja auch nicht im Wolfs-Schutzverband.
Am meisten schockiert über das plötzliche Dahinscheiden des Schneewittchens sind die sieben Zwerge. Nicht nur, weil sie eine brauchbare Koch- und Putzhilfe auf 400€-Basis, verloren haben, sondern weil sie eigentlich gerade auf dem Weg in die Kneipe waren und nun durch die unvermeidlichen Formalitäten eines Sterbefalles aufgehalten werden.
Kaum ist die schwarzhaarige Blondine dahin geschieden, da tritt auch schon Udo L. auf den Plan und wimmert herz­zerreißend „Ich lieb' dich überhaupt nicht mehr“ - als ob die Liebe vorher so groß war.
Sieben halb- und kleinwüchsigen Wichteln hatte er seine Braut für eine Flasche „Single Malt“ vermacht.
Durch dieses Gewimmer und die herannahende Nacht
(es ist halb Vier auf dem unter Glühweinschwaden liegenden Markt) fühlen sich die verwegensten Gestalten gerufen.
Schnell erstarrt den Zuschauern das Blut in den Adern, als sich blutsaugende Wesen (jahreszeitlich bedingt keine Mücken, bestenfalls Banker) über den Anger verteilen.
Eines der Wesen sieht aus, als wollte es wirklich das Letzte aus seinen Opfern heraussaugen.
Das ist sicher jener Unverschämtling bei der Sparkasse, der die monatlichen Gebühren so hoch getrieben hat, dass man als Kunde gern geneigt ist, seinem Leben (oder wenigstens dem Vertrag mit der Sparkasse) ein Ende zu bereiten.
Hans, der mit seiner etwas klapprigen Fahrradtourismusunternehmensgrundausstattung (FTUGA) im Dunkeln auf holpriger Straße im Auftrag der sieben Zwerge zur nächsten Apotheke eilte, rammte in voller Fahrt einen noch lebendigen Hasenbraten und ging übers Lenkrad zu Boden. Sehr schmerzlich, wenn man einen dieser Lenker hat, die sich gern beim Sturz im Schritt verfangen.
Der Sturz und das mit dem Lenker im Schritt ging nochmal gut aus, sonst hätte sich das ja auch mit dem Happy End, das heißt Hochzeit usw. sparen können.
Aber was sollte er doch nochmal in der Apotheke besorgen? 7 Schächtelchen Viagra-Krümel, einen Schwangerschaftstest oder ein Wiederbelebungsmittel?
Während er noch am Grübeln ist, dringt Flötenspiel an sein Ohr. Pan-Flöte? Ja! Peter Pan! Das ist er, in Begleitung eines Unschuldsengels. Wie ein Bürgermeister!
Früher hat sich dieser Peter Pan mal als Gockelhahn sein Geld verdient.
Aber die lausige NH-sowieso-Geflügelgrippe hat ihm dieses Jahr das Geschäft verdorben. Als ob schon mal ein Huhn oder Hahn gehustet hätte ...
Die lieben fleißigen Helferlein des lieben fleißigen Peter Pan haben im Nu das Rad des lieben fleißigen Hans repariert.
Nun kann der Peter Pan wieder in die Lüfte entschwinden - leicht und unbeschwert, als stamme er aus einer Welt ohne Anträge, Beschwerden, Widersprüche und Petitionen.
Aber im Advent ist man dem Himmel näher als der Hölle.
Da Eiche-Dorf wegen des umsatzschwachen Publikums ohne eigene Apotheke auskommen muss (was aber die Apotheker nicht daran hindert, gegen den Online-Handel zu wettern) wendet sich Hans mit seinem Medikamentenwunsch an einen ortsansässigen A+V-Handel.
Vielleicht tut's ja auch ein Mittelchen aus zweiter Hand.
Riechsalz! Das riecht beim dritten oder vierten Gebrauch genauso wie beim ersten Mal. Das riecht ähnlich wie Bratwürste in einem sehr frühen Stadium - wenn sie noch mit Beinen unterm Bauch im benachbarten Mehrow stehen.
Also her damit, mit diesem Mittel kann man Tote erwecken! Oder Scheintote. Ein Scheintoter hat übrigens den Nachteil, dass er auch bei tadellosem Lebenswandel nicht „heilig“, sondern bestenfalls „scheinheilig“ gesprochen werden kann.
Und wie jetzt schnell zu Schneewittchen kommen?
Zum Glück naht da jemand mit einer zurückgebauten Harley-Davidson. Bei den Hells Angels wollte man ihn damit nur in die Nachwuchs­abteilung aufnehmen.
Die 7 Zwerge hatten derweil Schneewittchens Sarg bis vor die Hulapalu-Bar geschoben und einige Trinksprüche auf ihre gewesene Mätresse ausgestoßen.
Mit Hans haben sie schon gar nicht mehr gerechnet.
Der aber naht mit dem Zauberspruch „Wir schaffen das“ und wedelt mit dem Fläschlein - weit weg von der eigenen Nase - in der Luft. In der Bar zeigt man sich indes gelangweilt.
Früher, als man noch im Kalten rumstand, war das anders. Aber jetzt, mit 'nem Sternburg in der Hand im lauschigen Pavillon mitten auf dem Anger, ist 'ne Lebensrettung lästig ...
Da muss der Hans den Rest wohl selber machen: Einen Schluck aus der Riechsalzflasche nehmen und dann die Schöne im Sarg anhauchen (oder küssen) - das wirkt Wunder.
Völlig benebelt stammelt sie etwas vor sich hin, was eigentlich „Oh je“ heißen sollte, aber unser aus seit früher Kindheit dialektgeschädigter Hans versteht nur „Ja“ und greift gleich zu. Noch im Sarg liegend, kann sich das arme Kind nicht wehren.
Aber Schneewittchen ist pfiffig und begreift die Chance, die sich Ihr bietet: Nur für einen zu putzen und zu kochen ist doch viel besser, als für sieben!
Schnell sind die Formalitäten eines Ehevertrages (der u.a. die Reduktion von 7 auf 1 Nettigkeit täglich enthält) erledigt und schon kann die Hartz-IV-gesponserte Party steigen!
Für alle, die sich gerade innerlich mit der Handlung und den Handelnden des Theaterstücks versöhnt hatten und in Frieden scheiden wollten, wurde jetzt die österreichische Keule herausgeholt.
Auf dem dicht mit Buden umstandenen Anger war kein Entkommen möglich. A.G. - die lebende Lederhose - trat auf.
Schneewittchen hat sich sicher insgeheim den Tod zurück gewünscht. Aber die Äpfel waren alle, die Riechsalzflasche noch offen und der potentielle Retter in der Nähe.
Erlösung konnte nun nur noch ein Stromausfall bringen - aber der kommt ja in der Regel ungelegen und nicht dann, wann man ihn braucht.
Als dann irgendwann die österreichische Kriegserklärung verklungen war und sich die schmerzverzerrten Gesichter langsam entkrampften, konnte endlich zum Abschlussfoto Aufstellung genommen werden.
Hans und Hedi, denen das Stück gewidmet war, konnten froh sein, dass ihnen das ganze Kapitel von Goldklumpen bis Riechsalz im richtigen Leben erspart geblieben ist. Den Kuss streiten sie nicht ab und der sei ihnen auch gegönnt.