Wer auf der B2/L200 von Berlin nach Bernau fährt, sieht zwischen Malchow und Lindenberg auf der rechten Seite ein einsames Gehöft stehen, an dessen Hauptgebäude der Schriftzug „Lindenberger Mühle“ aufmerksam macht.
In dieser Mühle, die ausschließlich Futtermittel produziert, gibt es in jedem Jahr einen Tag der offenen Tür, an dem man sich den Betrieb anschauen kann und ringsherum einiges geboten bekommt. So auch dieses Jahr am 9. April 2016.
An diesem Tag war die Mühle innen so blank geputzt, dass man sich unbeschadet mit einem schwarzen Anzug auf den Boden hätte setzen können. Auch Besucher mit einer Mehlstaub-Allergie brauchten keine Angst haben.
Nur für Besucher mit einer Bürgermeister-Phobie war das nichts, denn unser Bürgermeister führte durch die Mühle.
Wilfried Gehrke, dessen Familie die Mühle gehört, ist zwar kein Müller, sondern studierter Landwirt, hat hier aber früher im wahrsten Sinne des Wortes kräftig mitgemischt.
Als Landwirt weiß er genau, was die lieben Viecher mögen und was sie groß und stark macht - oder schönes Haar und Gefieder verleiht.
Seit er Bürgermeister ist, ruht für ihn die Müllerei, aber verlernt und vergessen hat er offenbar noch nichts. Jedes Hebelchen an den vielen, teils schon historisch anmutenden Maschinen weiß er zu erklären und für jedes Korn, das in irgendeinen Trichter geworfen wird, kann er vorhersagen, wo es in welchem Zustand wieder rauskommen wird.
Wie in vielen anderen Betrieben gilt nicht automatisch, dass „neu“ auch „besser“ ist. Manch altes Gerät tut hier noch treu seinen Dienst, wie eine uralte Abfüll-Waage, die immer wieder den erforderlichen Eichstempel bekommt.
Neu und gut ist aber z. B. eine Handnähmaschine zum Verschließen der Säcke. Nähen kann der Mann auch!
Früher wurde zum Verschließen der Säcke mühevoll nach einer raffinierten Methode der Rand zusammengefaltet, was sich die Besucher gern vorführen ließen.
Heute geht das wie gesagt blitzschnell mit der Nähmaschine. Dabei wird gleich ein Zettel mit angenäht, auf dem die Zutaten, das Datum, die Chargenummer usw. stehen. Der Mühlenbetrieb unterliegt strengen Kontrollen und alles muss lückenlos dokumentiert werden, weshalb auch überall Bücher ausliegen, in denen festgehalten wird, wo was rein gemischt wurde. Pharmaka und tierische Zutaten sind tabu.
Die Vorschriften für die Herstellung von Tierfutter sind übrigens angeblich strenger als die für Lebensmittel.
Gelagert werden die Säcke im Obergeschoß, wohin sie ggf. per Seilwinde kommen. Für den Weg nach unten gibt es hingegen die Schwerkraft und eine Treppe.
Mit einem gekonnten Tritt begeben sich die Säcke in Richtung Erdgeschoss und nehmen dabei auch selbsttätig die Kurve, ohne Schaden zu nehmen. Das geht seit Jahrzehnten so, was man der Treppe inzwischen ansieht.
Die ist wunderschön ausgetreten oder „glatt gerutscht“ - und nur so kann man sie auch als Sackrutsche gebrauchen.
Man kann die Treppe auch noch gut und gefahrlos zu Fuß bewältigen, wenn man nicht gerade beim Treppensteigen Selfies schießt - oder Lehrling ist. Zumindest meinen die zuständigen Behörden, dass Azubi's nur auf neuen Treppen schreiten können und haben der Mühle die Lehrlingsausbildung wegen der Gebrauchsspuren an der Treppe untersagt.
Neben dem selbst gemahlenen und gemischten Tierfutter vertreibt die Mühle auch Futtermischungen anderer Hersteller. Da kommt mengenmäßig ziemlich was zusammen und es bleibt nicht viel Platz im Obergeschoss.
Auf der verbliebenen Fläche war an diesem Tag eine Tafel aufgebaut, auf der so ziemlich alle denkbaren Zutaten lagen.
Wie und wo die ganzen Leckereien mit den Sattmachern vermischt werden, war gleich nebenan zu sehen:
Ein großer Bottich, der durch Röhren mit dem gemahlenen oder gequetschten Getreide versorgt wird, hat eine Klappe, in die man einfüllt, was das Mischfutter lecker macht. Auch Kinder mögen oft Cornflakes nur, wenn was rein gemischt ist!
Zum Schluss ging es in das Allerheiligste der Mühle:
Der Weg führte unters Dach, wo sich das „Kraftwerk“ und die „Antriebszentrale“ der Lindenberger Mühle befindet.
Die Augen der Technik-begeisterten Männer wurden immer größer und die mitgebrachten Frauen waren überrascht, wie leicht man Männer in Faszination versetzen kann.
Ein kleiner Elektromotor aus dem vorigen Jahrtausend, der unter Erich produziert wurde und zum Glück nicht den Weg in den Export geschafft hat, treibt dort mittels Treibriemen eine Transmissionswelle an, die wiederum das gesamte Fördersystem in Bewegung setzt.
Dieser kleine Kollege hält hier also den Betrieb am Laufen!
Früher hing da wohl noch eine ganze Reihe an Maschinen dran, aber die haben jetzt alle ihren eigenen Elektroantrieb.
Die Triebriemen, die zu Kriegs- und Nachkriegszeiten überall im Land ein beliebtes Klau- und Handelsobjekt waren, weil man daraus Schuhsohlen schneiden konnte, lassen sich leicht von den Riemenscheiben und wieder rauf schieben.
Damit wird das über den jeweiligen Riemen angeschlossene Transportsystem praktisch aus- und wieder angeschaltet.
Wiederholt wurde bei der Führung darauf hingewiesen, dass das Getreide nach jedem Bearbeitungsschritt wieder bis unters Dach transportiert wird und von dort in freiem Fall in eines der Silos oder in die nächste Maschine fällt.
Becherförderer sorgen dafür, dass es aufwärts geht, und Schneckenförderer sorgen für den horizontalen Transport.
Wo der Schneckenförderer das Getreide oder Mahlgut fallen lässt, bestimmen ein paar kleine unscheinbare Klappen, von denen einige den Weg in eines der großen Silos freigeben.
Luken im Fußboden erlauben einen Blick in die Vorrats­behälter, deren Inhalt vermutlich tausende Pferde, Hunde, Katzen und Kaninchen lange Zeit satt machen kann.
Bevor wir wieder absteigen, werfen wir noch einen Blick aus dem Fenster, der in allen Richtungen weit reicht. Bei dem herrlichen Frühlingswetter möchte man nur ungern hier weg.
Da hinten muss irgendwo der Berliner Ortsteil Buch mit seinen großen Wohnsiedlungen und medizinischen Einrichtungen liegen. Aber das sieht so weit weg aus, dass man meint, nicht dicht am Berliner Stadtrand, sondern irgendwo in Mecklenburg (Windrad!) in freier Natur zu sein.
Freude am guten Ausblick hatten einst offenbar auch jene Herren, die sich hier zwischen den Treibriemen eine Bretter­bude gebaut haben. Die hatten aber weniger Interesse an der Fernsicht, sondern eher an dem guten Blick auf die Straße vor dem Fenster: Die sogenannte „Protokollstrecke“ vom Berliner Stadtzentrum nach Wandlitz.
Gegenüber den Kollegen in den Gebüschen entlang der Straße hatten es die Schlapphüte hier oben sicher recht gemütlich, zumindest trocken und warm.
Mit vielen neuen Bildern und Eindrücken im Kopf steht man nach der lobenswerten Führung wieder vor der Tür und bekommt mit, dass man doch nur die Hälfte verstanden und die meisten Details schon wieder vergessen hat.
Das ist ein guter Grund im nächsten Jahr wiederzukommen und sich alles nochmal anzuschauen und anzuhören.
Frau und Kinder (oder Enkel) kann man übrigens zum Tag der offenen Tür gern mitbringen. Die können hüpfen, Hasen füttern oder Bratwurst essen, währen der Papa Treibriemen inspiziert oder den Weg eines Korns bis in den Futtersack gedanklich nachvollzieht..