Literatur zum Thema "1813 - Die Kosaken vor und in Berlin":

Geschichte
der
Befreiungs-Kriege.
1813. 1814. 1815.
Dargestellt nach theilweise ungedruckten Quellen und mündlichen Ausschlüssen bedeutender Zeitgenossen, sowie vielen Beiträgen von Mitkämpfern, unter Mittheilung eigner Erlebnisse von
Dr. Fr. Förster.
Siebente Auflage.
Erster Band.
Mit 10 Karten ec, und 38 Holzschnitten, gezeichnet von L. Löffler.
Berlin, 1864.
Verlag von Gustav Hempel.
Gefunden bei Google Books: http://books.google.de/books?id=j5hdAAAAIAAJ
Titel Geschichte der Befreiungs-Kriege 1813, 1814, 1815:
dargestellt nach theilweise ungedruckten Quellen und mündlichen Ausschlüssen bedeutender
Zeitgenossen, sowie vielen Beiträgen von Mitkämpfern, unter Mittheilung eigner Erlebnisse,
Band 1
Autor  Friedrich Christoph Förster
Verlag  G. Hempel, 1857
Original von  University of Wisconsin - Madison
Digitalisiert  13. Aug. 2010


Seite 114...119
Sechstes Kapitel.
Die Kosacken in Berlin d. 20. Februar.

Das erste Blut tapferer Vaterlandsbefreier floß am 20. Februar 1813 in den Straßen von Berlin. Sobald es bekannt geworden war, daß Czernicheffs Kosacken an mehreren Punkten über die Oder gegangen waren und einige Pulks unter dem Oberst Tettenborn in der Gegend von Alt-Landsberg umherschwärmten, ritten einige unternehmende Freiwillige aus Berlin zu ihm hinaus und forderten ihn auf, die französische Besatzung der Hauptstadt zu überfallen, wobei er mit Zuversicht auf eine Theilnahme der Bürger und der bewaffneten Freiwilligen rechnen könne. Man gab ihm genaue Auskunst über die Stärke und Vertheidigung der französischen Truppen in der Stadt und die Freiwilligen erboten sich als Führer die Kosacken zu begleiten. Tettenborn benachrichtigte Czernicheff und dieser erklärte sich bereit, das Unternehmen kräftig zu unterstützen.
Schwerlich dürfte die Kriegsgeschichte alter und neuer Zeit ein ähnliches Beispiel eines so planlos unternommenen Ueberfalls einer Stadt mit 300,000 Einwohnern und einer Besatzung von mindestens 10,000 Mann, aber auch eben so wenig ein Beispiel einer so gänzlich aus der Fassung gebrachten Vertheidigung auszuweisen haben, wie dieser von den drei, später berühmten russischen Generalen Czernicheff, Tettenborn und Benckendorff unternommene Ueberfall Berlins und dessen Vertheidigung durch Marschall Augereau, Herzog von Castiglione, am 20. Februar 1813.
Die treffendste Kritik der Schlacht von Jena gab ein dortiger Schuhmacher; die des Ueberfalls von Berlin ein Mauermeister, der nebenbei Direktor der Singakademie war. Zelter schreibt (Berlin d. 21.) an seinen Freund Göthe: „Gestern ist es etwas ernsthaft in unserer Residenz hergegangen. Von einer Anzahl Kosacken, die gegen 300 angegeben werden, hatten sich gegen 150 aus der nordöstlichen Anhöhe vor der Stadt zusammengefunden, sprengten in die Thore herein und hieben und schossen eine Anzahl Franzosen nieder, welche sie aus den Straßen fanden. Dies geschah am hellen Mittag. Ich befand mich auf der Akademie. Als ich gegen zwei Uhr nach Haus wandeln wollte, waren die Brücken bereits von den Franzosen gesperrt und mit Kanonen besetzt; ich mußte deshalb einen sehr weiten Umweg nehmen, bis ich endlich mein Haus nach drei Uhr erreichte. In meiner Straße (Münzstraße) war es lebhaft hergegangen. Die mir gegenüberstehenden Häuser waren von Kugeln durchlöchert. Mehrere Bürger sind getödtet und mein Nachbar, ein Kaufmann, aus den Tod verwundet. Gegen 5 Uhr hatten die Kosacken den Weg wieder zum Thor hinaus gefunden. Wären diese kühnen Leute still in Masse ins Haus des französischen Gouverneurs, Herzogs von Castiglione, gedrungen, anstatt sich mit dem Niederhauen einzelner Franzosen in den Straßen zu beschäftigen und die ganze Stadt zu allarmiren, so hätte der Coup gelingen können; und hätten gegentheils die Franzosen, welche überrumpelt schienen, sogleich die Thore sperren lassen, so wäre kein Russe gesund wieder hinaus gekommen.“
Ein an dem Straßenkampfe theilnehmender Freiwilliger giebt in einem Briefe vom 22. Februar seinem auswärtigen Freunde ausführlicheren Bericht:
„Denke Dir, diese verwegenen Kosacken, vielleicht kaum 150 Mann, sprengten durch verschiedene Thore (wahrscheinlich durch das Landsberger und Königsthor) in die Stadt herein, ohne von den verdutzten französischen Thorwachen ausgehalten zu werden, bis zum Alexanderplatze. Hier theilen sie sich; ein Theil reitet nach dem Schloßplatze, ein anderer verirrt sich bis zum Dönhofsplatze; selbst unter den Linden will man sie gesehen haben. Unterdessen hatten die Franzosen die Schloß- und Schleusenbrücke mit Kanonen besetzt, in der ganzen Stadt wurde Allarm geschlagen und würtembergische leichte Cavallerie verfolgte die Russen. Wäre die Sache besser vorbereitet gewesen und vor Tages Anbruch, nicht am hellen Mittag, unternommen worden, sie hätten das ganze französische Hauptquartier gefangen nehmen können und wahrscheinlich hatten Czernicheff und Tettenborn aus einen Aufstand der Bürger gerechnet. An gutem Willen und Muth fehlt es hier wahrlich nicht, und ich selbst war Zeuge eines Auftrittes der genugsam beweisen kann, wessen sich die Franzosen hier zu versehen haben, wenn sie sich nicht bald empfehlen. Da ich mehrere Freiwillige in der Jägeruniform auf der Straße sah, zog ich auch meinen grünen Rock an, nahm den Hirschfänger um und schloß mich an die anderen an; wir zogen nach dem Schloßplatze. Hier kam uns ein anderer Haufe entgegen mit mehreren schwer verwundeten Bürgern. Bald erscholl der Ruf: „Nieder mit den Hunden! den Franzosen, sie schießen aus die Bürger!“ Aus der Breiten Straße kam jetzt ein Trupp Handwerker, von einem Grobschmied angeführt. Er schwang einen großen Hammer und rief: „folgt mir, wir wollen ihnen die Kanonen vernageln!“ Nun zogen wir nach der langen Brücke, wo zwei Kanonen standen. Unser Schmidt fackelte nicht lang; zwei Schläge rechts und links und zwei französische Kanoniere lagen am Boden; die anderen ergriffen die Flucht, da alles aus sie losschlug. Jener langte ein Paar Radnägel aus seiner Tasche und schlug sie in das Zündloch der Kanonen. Unterdessen kam Verstärkung von der anderen Seite. „Die will ich schon so lang aufhalten, bis Ihr aufgeräumt habt!“ rief der Schmied uns zu und warf sich, ein zweiter Horatius Cocles zur Vertheidigung der Brücke, den Feinden entgegen. Noch einige Franzosen sanken unter seinen Hammerschlägen nieder, da wurde er von zehn Bajonetten niedergestochen. Es gelang dennoch, die Franzosen zu verjagen und wir trugen den tapfern Vorkämpfer auf einer Tragbahre nach der Königlichen Reitbahn in der Breiten Straße. An der Schleusenbrücke ist es ebenso munter hergegangen; eine Kanone nebst Pulverkarren wurden in den Canal gestürzt.“
Verleitet zu einem so wagehalsigen Unternehmen war Tettenborn von einigen Berliner Freiwilligen, welche ihm bis Landsberg entgegengeritten waren und ihn versichert hatten, daß, sobald sich nur einige Hundert Kosacken in Berlin zeigen würden, die gesammte wehrhafte Bevölkerung zu den Waffen greifen und mit ihnen die Franzosen niedermachen werde. Unter diesen Freiwilligen befanden sich: v. Dobeneck (später General), v. Arnim zu Crieven, v. Hobe (später Landrath), Alexander v. Blomberg und Bärsch, früher Lieutenant bei Schill, später Geh. Regierungsrath in Coblenz. Letzterer hat in dem „Soldatenfreunde“ über seine Betheiligung bei jenem Ueberfalle Folgendes mitgetheilt: „Im ersten Anlaufe wurden das Bernauer (jetzt Neue Königs-), Schönhauser und Landsberger Thor genommen. Ich selbst erstürmte mit einem Trupp Kosacken das Landsberger Thor, entwaffnete die Thorwache, die nur wenige Schüsse gab, und sperrte sie in der Wachstube ein. An meiner Seite befand sich mein lieber Freund Alexander v. Blomberg, den ich aber im Gewühle bald verlor. Erst längere Zeit nachher erfuhr ich, daß er von einer feindlichen Kugel getroffen den Heldentod auf vaterländischer Erde gefunden. Die Russen sammelten sich auf dem Alexanderplatz, Tettenborn wagte aber nicht weiter vorzugehen, weil er fürchtete, daß die Kosacken sich in der großen Stadt zerstreuen und dann schwer wieder zu sammeln sein möchten. Da ich, als ein geborner Berliner, das Terrain genau kannte, befahl mir Tettenborn, mit einigen Kosacken vorzugehen und Nachrichten über die von dem Feinde getroffenen Maßregeln, besonders aber über die Stellung des Geschützes einzuziehen. Ich ritt die Schönhauser (wahrscheinlich Münz-) Straße hinunter bei Monbijou vorbei, durch die Friedrichsstraße und einen Theil der Linden. Mehrere französische Patrouillen, auf welche ich stieß, wurden auseinander gesprengt oder niedergehauen. Bei dem Durchgange zwischen dem Palais des Königs und der Prinzen trat eben eine Compagnie Franzosen an. Mit einem Hurrah! sprengte ich mit meinen Kosacken auf sie los und warf sie auseinander, nachdem nur einige Schüsse von den erschrockenen Feinden mit unsicherer Hand und daher ohne zu treffen, abgefeuert worden waren. Nun ritt ich nach der Kronenstraße, vor dem Hause meines Vaters an der Ecke der Markgrafenstraße vorbei und nahm einen französischen Oberst, Lambert, gefangen. Meine Frau wohnte einige Häuser weiter. Einen erschütternden Eindruck machte es auf mich, daß auf dem Hausflur ein Sarg stand; zu meiner Beruhigung erfuhr ich, daß meine Frau wohl und gesund mit einigen Freundinnen nach dem Thurme der Marienkirche gegangen sei, um von dort das Gefecht zu beobachten. Nun stürmte ich auf die von 30 Franzosen besetzte Wache an der Dreifaltigkeitskirche. Nachdem die Besatzung einige Schüsse gethan, mußte sie das Gewehr strecken und wurde in die Wachstube eingesperrt. Die Gewehre wurden der Bürgergarde übergeben. Gleiches Schicksal hatte die aus 15 Mann bestehende Wache am Potsdamer Thor. Die Wache am Halleschen Thor war schon im Begriffe die Waffen zu strecken, als sie eine bedeutende Verstärkung, wenn ich nicht irre aus Würzburgscher Cavallerie bestehend, erhielt, was mich veranlaßte, mich zurückzuziehen. In der Meinung, daß Tettenborn auf mehrere Meldungen, welche ich ihm von Zeit zu Zeit durch die Kosacken gemacht, vorgerückt und die Stadt in den Händen der Russen sei, ritt ich gegen Mittag mit den wenigen Kosacken, welche ich bei mir hatte, zur Wohnung meiner Frau, um mich und meine ermüdeten Leute zu erquicken. Mehrere Schüsse, welche auf Kosacken, die noch in der Stadt herumritten, fielen, veranlaßten mich wieder anfzusitzen und mit meinen Kosacken vorwärts zu gehen. Nun erfuhr ich, daß die Russen aus der Kaserne am Frankfurter Thore mit Kartätschen beschossen, sich zurückgezogen und die Stadt verlassen hatten. Ich hoffte, noch das Potsdamer Thor forciren und mich dort durchhauen zu können, wurde aber von einem heftigen Gewehrfeuer empfangen und mußte mich zurückziehen. Nun wandte ich mich zum Köpnicker (Schlesischen Thore) und griff die Wache an; da mir aber zwanzig Mann Würzburger Cavallerie in die Flanke kamen, so mußte ich mich auch hier zurückziehen. Mit meinen Kosacken hielt ich mich nun in der Nähe des Köpnicker Feldes (innerhalb der Stadtmauer) und warf noch einige französische Patrouillen zurück. Als es anfing dunkel zu werden, sammelten sich einige Bürger um mich, baten mich, doch nicht unnütz mein und meiner Leute Leben aufzuopfern und führten mich und meine Leute in eine geräumige Scheune. Die Bürger vertheilten die Kosacken unter sich und versprachen, solche sicher zu verbergen und mit allem Bedarf gehörig zu versorgen. Ich erhielt einen Kittel und einen Blechhelm, den Anzug, den damals die Spritzenleute trugen, und ging so zu meinem Schwager, dem Director der Porzellanfabrik, der damals am Dönhofsplatze wohnte. Dieser führte mich auf Umwegen nach der Porzellanfabrik und ließ mich in einen Brennofen steigen, der nicht mehr im Gebrauch war.“ Nachdem Bärsch in diesem Versteck acht Tage zugebracht, gelang es ihm in der Uniform eines Berliner Nationalgardisten aus der Stadt zu entkommen und Tettenborns Kosacken wieder zu erreichen.
Der Wahrheit weniger getreu dürfte der Bericht Tettenborns an Stein aus Oranienburg vom 22. Februar über dies Unternehmen sein, welcher die Fehler seiner Unbesonnenheit und das Mißlingen des ungeschickt angelegten Handstreiches den Berlinern in die Schuh schieben möchte. Nachdem er berichtet, daß er am 19. gemeinschastlich mit Czernicheff beschlossen, mit der ganzen Masse (einigen Pulks Kosacken) auf Berlin zu gehen, fährt er fort: „Die Einwohner dieser Stadt hatten mir eine Deputation geschickt, um mich zu bitten, meinen Marsch zu beschleunigen, da sie entschlossen seien, Hand ans Werk zu legen, um die Canaillen zu vertreiben. Wir vereinigten uns die Nacht vom 19. zum 20. in Alt Landsberg und waren mit Tagesanbruch vor Berlin. Das, was da vorgefallen, finden Sie in meinem Rapport, nur muß ich noch hinzusetzen, daß die Berliner Bestien sind, die kein Blut, sondern Wasser in den Adern haben. Der Polizei-Präsident Le Coq, der selbst mit Augereau herumritt, um die Vertheidigungs-Anstalten zu machen, erstickte noch den wenigen Geist, indem er viele Leute verhaften ließ, die sich für uns erklärten. Daß dieser Racker an den Galgen muß, werden Ew. Excellenz einsehen, und ich hoffe Hochdieselben werden ihm diesen Ehrenplatz verschaffen. Die Damen haben uns am besten empfangen, denn als ich hineinsprengte, flogen mir aus allen Fenstern Schnupftücher entgegen, aber die Männer wollten nicht zuschlagen und das war das Wichtigste. Indessen waren in allen Straßen Berlins Kosacken, ich selbst aus dem Alexanderplatze und unter den Linden, aber da ich nicht unterstützt wurde von den Einwohnern, mußte ich die Stadt nach zwei Stunden wieder verlassen, wo sich indessen 6000 Mann Infanterie und 40 Kanonen gesammelt hatten. Der arme Blomberg, mit dem ich unendlich zufrieden war, fiel gleich am Thore, er starb den Heldentod. Gott hab' ihn selig. Sehr bedaure ich auch den Verlust eines Herrn v. Arnim, der einst bei Schwarzenbergs Uhlanen stand und jetzt bei mir als Volontair diente. Indessen hatte diese Bewegung den Vortheil, daß nun der Vieekönig mit seiner ganzen Armee gegen uns marschirte, folglich Frankfurt und die Oder ganz von Truppen entblöst ist. Man marschirt von allen Seiten in der Hoffnung uns einzuschließen, ich hoffe aber, daß wir die Rolle des Einschließens am Ende übernehmen werden, obschon wir jetzt mit aller Welt außer Verbindung sind. ...“