Im Brandenburgischen Landeshauptarchiv Potsdam (ehem. Preußisches Staatsarchiv) findet sich unter HA X Pr.Br.Rep. 2A II NB Nr. 1380 in den
"Sonderakten betreffend die Schule zu Mehrow vom Jan. 1927 bis 1944"
folgender Bericht von der Besichtigung der Mehrower Dorfschule im Mai 1936:

Der Kreisschulrat von Niederbarnim-Süd
Tgb.-Nr. 1058.
Berlin, den 5. Mai 1936.

Schulbesichtigung in Mehrow (Lehrer Grensing) am 5. Mai 1936.
I. Vorbemerkung: In meinem letzten Bericht über die Schule vom 18. Januar 1936 habe ich die Schule Mehrow als besonderes Schmerzenskind bezeichnet und die Gründe dargelegt und die Tatsachen festgestellt, die dieses Urteil rechtfertigen. In Bezug auf dieses Urteil sei vorausgehend angegeben, daß trotz einiger Verbesserungen in Arbeit und Leistung doch noch diese Kennzeichnung zurecht besteht; es sei aber auch anerkannt, daß der Lehrer mit stärkerem Einsatz und besseren Ergebnissen gearbeitet hat.
II. Aus der Schularbeit: 1) Deutsch. Mit der Oberstufe Besprechung eines Frühlingsgedichtes, die die Erfahrungen und Erlebnisse der Kinder als Grundlage benutzt und einen Weg zum Verständnis (nicht zum Erleben) das Gedichtes bahnt. Ein früher gelerntes Gedicht wird zwar sicher im Text, aber in klapperndem Schulton aufgesagt. Die Leseleistungen der übrigen Jahrgänge befriedigen. Eine Umwandlungsarbeit, von mir gestellt, wird mäßig ausgeführt.
2) Rechnen: alle Abteilungen mit ihrem Stoff. Genügende Schülerleistungen; aber die Technik des Rechnens kommt gegenüber den sachlichen Darlegungen des Lehrers zu kurz.
3) Erdkunde: die norddeutsche Tiefebene, befriedigende Benutzung der Karte, genügende Kenntnisse. Wir verbinden Erdkunde und Geschichte und suchen aus dem Deutschlandlied Maaß und Memel, Etsch und Belt auf der Karte auf und erzählen uns von dem Geschick dieser Ströme und dieser Meerenge und ihrer Bevölkerung: abgetretene Gebiete, die deutsche Grenze, Versailles, Deutschlands Wehrfreiheit durch Hitler. Kinder gehen genügend, wenn auch in schwacher Darstellungskraft mit.
Einige Lieder, etwa genügend gesungen, beschließen unsere Vormittagsarbeit. Die Zahl der Diktate im Vorjahr betrug 23, die der Niederschriften 20. Auswahl etwas einseitig, Ausführung schwach genügend, Durchschnitt befriedigend. Die Klassenbücher sind ordnungsmäßig geführt.
III. Beurteilung: Die Schule ist einklassig und zählt jetzt 48 Kinder, 23 Knaben und 25 Mädchen. In den nächsten Jahren ist mit einem Rückgang der Schülerzahl zu rechnen, obwohl alle Orte in der Umgebung eine größere Schülerzahl bekommen. So sind abgegangen bzw. gehen ab:
O. 1936: 5 Kinder, zu 3 Kindern,
O. 1937: 6 Kinder, zu 3 Kindern,
O. 1938: 14 Kinder, zu 5 Kindern,
falls nicht durch Zuzug von Schnitterkindern eine Änderung eintritt. Diese 48 Kinder sind mit Ausnahme von 2 sämtlich Kinder von Gutsarbeitern, zumeist großer Familien. Die baren Einnahmen der Väter sind sehr gering - durchschnittlich 3 RM Barlohn die Woche; daraus ergibt sich, welche Schwierigkeit hier die Beschaffung von Heften, Schreibmaterial, Lesebüchern usw. bereitet. Die Gemeinde hat auf meine wiederholten Bitten wenigstens etwas mitgeholfen, trotzdem bleibt etwa die Beschaffung von einigen Ganzschriften durch die Kinder ein frommer Wunsch. Dennoch muß anerkannt werden, daß ein guter Fortschritt in der Kleidung der Kinder erfolgt ist: sie kommen mit ganzen, wenn auch gestopften Stücken zur Schule. Hier hat das Winterhilfswerk, das der Lehrer betreut, gute Früchte getragen; die Eltern haben größere Sorgfalt auf die Bekleidung ihrer Kinder verwandt. Zu wünschen läßt aber noch die äußere Reinlichkeit; hier helfen nur regelmäßige Appelle. Die überwältigende Mehrzahl der Kinder ist nicht im Orte und nicht in der Gegend geboren; sie sind im Wesentlichen aus dem Osten eingewandert (Oberschlesien, Korridor, selbst aus Rußland); sie zeigen deshalb ein buntes Rassengemisch. Sie sind in ihrem ganzen Wesen, besonders auch im Sprachausdruck, schwerfällig und langsam; der Wortreichtum ist gering; es fehlt aber wiederum der Vorzug wirklicher Landkinder, die zumeist klare und deutliche Vorstellungen besitzen. Unter den 48 Schülern sind nicht weniger als 7 katholisch, eine Mischung, wie sie sonst nie im Kreise anzutreffen ist (Einwanderung aus dem Osten); diese 7 religionsunterrichtlich nicht betreuten katholischen Kinder sind zwar ordnungsmäßig gemeldet worden, sie erhalten aber bis zur Stunde noch keinen besonderen Religionsunterricht - einige nehmen auf Bitten der Eltern vorläufig am evangelischen Religionsunterricht teil.
Der Schulraum ist groß, hell, licht und befindet sich in befriedigendem Bauzustand. Die Klasse ist sauber gehalten; der Bildschmuck ist etwas willkürlich - Schmetterlingskästen neben dem Bilde Luthers! -; Tier- und Blumenpflege müssen stärker auch im Klassenraum getrieben werden.
Die Leistungen der Kinder haben sich gegenüber dem Bericht aus dem Vorjahr gehoben; sie liegen aber doch noch nicht auf der Normallinie der einklassigen Schulen des Schulbezirks. Es gibt unter den Kindern einen ganze Reihe, die in der Großstadt einwandsfrei zu Gästen der Hilfsschule bestimmt werden würden. Die Unterstützung und Pflege durch das Haus ist so gut wie gar nicht vorhanden. Die häuslichen Räume sind wenig gute Arbeitsstätten für gute schriftliche Arbeiten.
Der Lehrer, Herr Grensing, jetzt 47 Jahre alt, ist nach Herkunft, Haltung, Anschauungsweise Großstadtmensch, der sich nicht recht in das Leben des Landes einfügen und einleben kann - er ist durch Tausch aus Berlin einmal nach Mehrow gekommen. Er ist auch nach seinem methodischen Zuschnitt und nach seiner geistigen Eigenart nicht der Lehrer der Einklassigen; er lebt in der geistigen Welt der Großstadt, spricht gelegentlich auch über die Köpfe der Kinder hinweg, hat sich nach der naturkundlichen Seite spezialisiert, so daß ihm die gleichmäßige Betreuung aller Fächer nicht leicht fällt. Er beherrscht das Instrument der Einklassigen mit ihrem Wechsel der Abteilungen nicht völlig und begeht immer wieder den Fehler, die Arbeit mit einer Abteilung so weit auszudehnen, dass die anderen Abteilungen nicht zu ihrem Recht kommen. Er hat aber im Berichtsjahr fleißig und mit Einsatz gearbeitet, die Leistungen seiner Schüler haben sich verbessert. Trotzdem halte ich es im Interesse der Schule wie des Lehrers für gut und notwendig, dass hier einmal ein Lehrerwechsel eintritt, daß ein landverbundener Lehrer nach Mehrow geht und Grensing an eine mehrklassige Schule kommt. Mit dem Lehrer sind eine ganze Reihe pädagogischer und methodischer Fragen eingehend besprochen worden, so Schulgarten, Lichtbild und Film, Klassen- und Abteilungsunterricht, die Sprache der Schüler, Gestaltung der Diktate, die häuslichen Arbeiten in der Einklassigen, Bildschmuck in der Schule, Religionslehrplan.
(Unterschrift: G. Wolff)

(Stempel: Der Kreisschulrat für den Schulaufsichtskreis Niederbarnim-Süd)

An den Herrn Regierungspräsidenten
Schulabteilung
in Potsdam