Märkisches Dorfleben in alter Zeit
Von Ernst Raeber, Berlin

Nicht allzuweit vor den Toren Berlins lag seit der Zeit des 13. Jahrhundert, in dem der Boden unserer Mark wieder von deutschen Bürgern und Bauern in Besitz genommen und einer höheren Kultur zurückgewonnen worden war, ein kleines Dorf. Kaulsdorf war sein Name. In ihm lebten, wie überall in der Nachbarschaft, stattliche Bauern mit Anteil an Ackerland, Wald und Weide und bescheidene Kossäten mit winzigem Landbesitz und geringem Anteil an den Holz- und Weidefluren.

Von ihrem Leben in der Zeit vor etwa zwei Jahrhunderten wollen die folgenden Zeilen erzählen.

Aus der Reihe der Bauerngüter hob sich der Schulzenhof hervor, der Sitz des bäuerlichen Gerichtes. Starb in Kaulsdorf ein Schulze, dann folgte ihm sein Sohn, der dafür dem Dom zu Berlin, unter dessen Herrschaft das Dorf stand, eine Anerkennungsgebühr, die sogenannte Lehnware, zahlte. Wie jeder andere Erbe eines Bauernhofes mußte er sich natürlich mit seinen Geschwistern auseinandersetzen. Wie dies geschah, das ist gerade für uns heutige Menschen sehr lehrreich, die wir unter dem starken Eindruck des neuen bäuerlichen Anerbenrechtes stehen. Denn so, wie es dieses große Gesetzeswerk will, ging es in unserem Dorfe seit Jahrhunderten zu. Immer blieb das Gut als Ganzes erhalten und wurde von einem der Söhne, gelegentlich auch einem Schwiegersohn des Verstorbenen, zu dem gerichtlich festgestellten mäßigen Preise übernommen. Bei dem Gute verblieb stets das notwendige Wirtschaftsinventar, die Hofwehr. Die Miterben mußten die ihnen zustehenden Gelder zinslos auf dem Gute stehen lassen, bis diese nach einem durch das Dorfgericht festgesetzten Tilgungsplan allmählich abgetragen wurden. Selbstverständlich hatte der neue Besitzer für den Unterhalt seiner Mutter und der jüngeren Geschwister zu sorgen, die sich noch nicht ihr Brot verdienen konnten. Als 1632 die Witwe des früh verstorbenen Schulzen Dix Barthold ihrem herangewachsenen Sohne Michel das Gut übergab, verpflichtete sich dieser, seine Mutter mit Kleidung und Speise und Trank zu versorgen, "so gut, als er es mit seiner künftigen Hausfrau haben wird". Er wollte ihr auch freie Wohnung, Stube und Kammer, den Stuhl beim Feuer und Kachelofen und etwas Bargeld vergönnen, "so oft sie es begehren und Not haben würde". Oft enthielten die Abmachungen über das Altenteil noch genauere Bestimmungen. So bedang sich 1694 eine Bauernwitwe bei der Übergabe des Gutes an ihren Schwiegersohn eine warme Stube, freies Herdfeuer, Schlafkammer, ein reichliches Deputat an Roggen, Gerste und Erbsen, ein Stück Land für Leinsaat, Kohl und Rüben, 1 Birnbaum, 1 Kuh, 1 Schwein und mehrere Gänse und Hühner aus.

Im Jahre 1731 starb der Schulze Andreas Barthold ohne männliche Nachkommen. Da das Schulzengericht, wie der Hof stets genannt wird, ein Lehngut war, fiel es der Domkirche in Berlin als dem Lehnherrn heim. Schon vor Bartholds Tod war dem königlichen Kammerdiener Abt die Anwartschaft auf das Gut erteilt worden, falls der Besitzer ohne Lehnserben sterben würde. Nun war dieser Fall wirklich eingetreten, und so begab sich denn der Vertreter der Domkirche nach Kaulsdorf, um das erledigte Lehen für Abt in Besitz zu nehmen. Dies vollzog sich noch in den durch alten Brauch geheiligten Formen des deutschen Rechts. In Gegenwart der Töchter und Schwiegersöhne des Verstorbenen wurde das Feuer auf dem Herde gelöscht und für den neuen Besitzer wieder angezündet; dann wurde ein Stück Holz aus dem Pferdestall geschnitten und zuletzt im Garten ein Stück Rasen ausgegraben, um so symbolisch auch Stall und Garten in Besitz zu nehmen. Schulze geworden ist der Kammerdiener allerdings nicht, sondern das wurde der Schwiegersohn des alten Barthold, der dem Anwärter dafür 200 Taler zahlte.

Die Bauern in Kaulsdorf hatten es in jener Zeit nicht leicht, obgleich sie in einer Beziehung weit günstiger dastanden als fast alle anderen Dorfbewohner. Sie brauchten nämlich nicht zwei oder drei Tage in der Woche für den Gutsherren zu arbeiten, weil es in Kaulsdorf kein adliges Gut gab, sondern waren nur dem Kurfürsten zu Fuhr- und Arbeitsdienst verpflichtet. Freilich nahm sie der kurfürstliche Hausvogt Schwarz gegen Ende des 17. Jahrhunderts mit großer Schärfe in Anspruch, sie fanden aber in dem tüchtigen Verwalter des Domkapitels Andreas Welle einen unerschrockenen Fürsprecher. In einem Bericht schrieb er zornig, es führe zum Ruin der Untertanen, wenn die Behörde "die elenden Bauernpferde zum Vorspann der Karräten und Chaisen hingibt" und wenn die Bauern statt des Bieres und Brotes, das sie früher dafür erhalten hätten, jämmerliche Prügel bekämen. In der Tat wurde dann auch bald eine recht günstige Regelung der Frage getroffen.

Die Dienste drückten Kaulsdorf also nicht so arg, wohl aber die neue Steuer, die Kontribution. Sie war dazu bestimmt, das Heer zu unterhalten, das die werdende Preußische Großmacht brauchte, um die ihr vom Schicksal vorgezeichnete Aufgabe zu erfüllen. Wie schwer es war, sie aufzubringen, sehen wir deutlich an dem Beispiel des Schulzengutes. Es bestand zu Anfang des 18. Jahrhunderts aus einem zweistöckigen Wohnhaus, einem Stall, großer Scheune und Wagenschauer sowie einem kleineren, vermieteten Wohnhaus. Ackerland und Wiesen gaben gute Erträge. Trotzdem hätte der Schulze jährlich 20 Taler mehr ausgeben müssen, als er einnehmen konnte, wenn er den Lohn für die zur Bewirtschaftung des Gutes erforderlichen zwei Knechte, zwei Mägde und einen Jungen bar hätte aufbringen müssen! Nur weil er die Arbeit mit einem einzigen Knecht und seinen Töchtern schaffte, konnte er einen kleinen Überschuß herauswirtschaften.

Bis zum Dreißigjährigen Kriege hatte sich in Kaulsdorf und den Nachbarorten der schöne Brauch erhalten, den Töchtern bei ihrer Verheiratung einen silbernen Kranz zu schenken, der sich von Geschlecht zu Geschlecht forterbte. In dem ältesten Erbvertrag über das Schulzengericht vom Jahre 1604 wurden sogar einer Verwandten des verstorbenen Schulzen 16 Taler für einen solchen Kranz ausgesetzt, den ihr der Schulze versprochen hatte. Das war eine stattliche Summe, für die man damals ein gutes Pferd kaufen konnte. Nach dem Kriege hören wir nie mehr von diesen Kränzen.

Wenn auch der Wert der Höfe und die Menge der Einrichtungsgegenstände, des Viehs und der Wirtschaftsgeräte allmählich wieder zunahm, so blieb für persönlichen Aufwand nirgends ein Spielraum frei. Wir können das gut aus den Inventaren erkennen, die beim Tode der Hofbesitzer durch das Dorfgericht ausgestellt wurden. Da finden wir etwa als Kleidungsstücke eines 1728 verstorbenen Bauern Rock und Kamisol aus Tuch, ein Paar lederne Hosen, eine alte Mütze, ein Paar Schuhe und Strümpfe, zwei Halstücher und fünf Hemden. Dazu an Frauenkleidung einen schwarzen wollenen Unterrock, eine graue und eine braune Jacke nebst Rock aus Serge, eine schwarze und eine grüne Damastmütze, 3 Ober- und 3 Unterhemden, 2 Zipfeltücher und 6 Hauben. An Wäsche 2 Laken aus Flachs, 3 Tisch- und 3 Handtücher. Eine Kossätenfrau besitzt 3 Unterröcke aus Serge in Weiß, Grau und Braun, 1 roten Friesrock, 1 graue und 2 braune Jacken, 1 grüne Damastmütze mit goldener Tresse und 1 gelb- und graugestreifte Satinmütze mit silberner Tresse, dazu noch eine schwarze Damastmütze, 2 blaue Schürzen, 6 Leinenhemden, 11 Hauben und 5 Servietten. - Rock und Kamisol aus Tuch, Lederhosen oder seltener auch Leinenhosen, manchmal noch ein alter Rock und Kamisol - das ist alles, was in der Regel außer etwas Wäsche der große Bauer wie der geringe Kossät hinterlassen. Die Frauen haben neben den schon genannten Kleidungsstücken gelegentlich noch lederne Pantoffeln, eine Kossätenfrau 1721 noch eine Pelzmütze, eine Muffe und 5 alte Schleier.

Zur Trauerkleidung wurde welsche Leinwand für Halstücher und Trauerflore gekauft. Die Kosten dafür konnten bei einer großen Familie mehrere Taler betragen. Dazu kamen noch die Ausgaben für den Leichenschmaus, bei dem es etwa eine Tonne Bier, Rindfleisch, Fische, Erbsen und Brot mit Butter und Käse gab.

Einmal hören wir auch in Kaulsdorf von einem Selbstmord. Ein Schäferknecht, der einige Schafe verloren hatte, war vom Dorfgericht verurteilt worden, das Vieh dem Eigentümer wieder zu verschaffen oder die Hälfte seines Wertes zu bezahlen. Er nahm sich das so zu Herzen, daß er nach Empfang des Abendmahls sich an einer Birke erhängte, "worüber sich die ganze Gemeinde sehr entsetzet hat". Die Leiche wurde in Gegenwart des Vertreters der Domkirche und der Gemeinde durch den Berliner Schinderknecht abgeschnitten, auf eine Egge gelegt und an der Dorfgrenze mit Hose und Kamisol verscharrt, dann wurden einige Holzstückchen und Steine auf die Stelle gelegt. Dieser Brauch, auf eine an nicht geweihter Stelle beigesetzte Leiche Steine zu legen, hat sich in der Mark noch bis in die Gegenwart erhalten.

Von der harten Tagesarbeit suchte der Bauer Erholung im Dorfkrug. Das Bier wurde lange aus Köpenick bezogen, später aber aus der alten Bierstadt Bernau. Mit ihr machten die Kaulsdorfer keine guten Erfahrungen, so daß sie sich wieder nach Köpenick wandten. Damit wollten sich die Bernauer nicht zufrieden geben, ja, sie versuchten es zuletzt mit Gewalt, indem sie ein Faß Köpenicker Bier in Kaulsdorf beschlagnahmten und auf ihr Rathaus führten. Jetzt aber griff der Kapitelverwalter für seine Bauern in den Streit ein und setzte es durch, daß die Stadt Bernau das Faß herausgeben mußte. Doch es ergab sich, daß von dem Bier "unterwegs ein gutes Teil ausgesoffen, der Rest aber ganz schal und verdorben gewesen"!

Im Krug wurde nicht nur getrunken, sondern auch gespielt. Schon 1672 wurde das Kartenspiel, besonders an Sonntagen, durch das Dorfgericht verboten, und dieses Verbot wurde auf den jährlichen Dingetagen regelmäßig wiederholt. Als aber 1697 mehrere Knechte wegen Übertretung des Verbotes zu ½ Taler Strafe verurteilt wurden, zogen sie Sonntags in den benachbarten Biesdorfer Krug, "spielten, sauften und tanzten". Doch auch diese Zuflucht wurde ihnen bald durch das Eingreifen des Biesdorfer Pfarrers gelegt.

Das Gericht begnügte sich aber nicht mit solchen Verboten, es sorgte auch für die wirkliche Heiligung des Sonntags durch eifrigen Kirchbesuch. So befahl es 1672 der Gemeinde, "sich fleißig zur Kirche und Anhörung des göttlichen Wortes zu verfügen", auch vor dem Gottesdienst keine schwere Arbeit zu verrichten, damit sie nicht "ermüdet nachher in der Kirche schlafen".

Alle wirtschaftlichen und sozialen Vorschriften faßte die Dorfordnung von 1752 zusammen. Noch einmal verbot sie Würfel- und Kartenspiel, aber auch die winterlichen Spinnstuben, die dem allzusehr auf Vernunft und Regel bedachten Geist des 18. Jahrhunderts als Stätten fröhlichen Beisammenseins verdächtig waren. Für den Krug wurde eine Polizeistunde festgesetzt, die im Sommer um 9, im Winter gar schon um 8 Uhr schlug. Hochzeitsfeiern und Kindtaufen sollten nicht zu lange dauern, "damit die jungen Eheleute nicht alles verzehren und dadurch in Armut geraten".

Noch manches andere verraten uns die alten Urkunden und Akten über das Leben Kaulsdorfs in jener fernen Zeit. Doch darüber dürfen wir vielleicht später einmal unseren Lesern berichten.


Quelle: BRANDENBURGER LAND
Monatshefte für Volkstum und Heimat
Im Auftrage des Landesdirektors der Provinz Brandenburg und des Gauamtsleiters für Kultur und Presse des Gaues Kurmark herausgegeben von
Baurat Gerhard Wohler, Dr. Hans Volz und Herbert Menzel
Druck und Verlag A.W. Hayn's Erben, Potsdam und Berlin
1934, Heft 2, S. 55-57