Die Wiedereindeutschung des Barnim in der Askanierzeit
Von Wilhelm Tessendorff

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Die erste Erwähnung erfährt der Barnim in einer Urkunde Otto I. aus dem Jahre 948, nach welcher 10 slawische Gaue, darunter auch der Gau Zpriavani (Spreeland) dem Bistum Brandenburg zugewiesen werden. Der Gau Zpriavani umfaßte nicht nur den Barnim, sondern auch einen Teil des Teltow. Wiedereingedeutscht wurde der Barnim erst unter den Askaniern. Die Sage läßt schon Albrecht den Bären in den Barnim kommen. Sie erzählt, daß er, auf der Jagd verirrt, zu einem wendischen Häuptling nach Stralau kam und dort Zeuge eines Opferfestes wurde. Angesichts der heidnischen Menschenopfer beschloß er, an dieser Stelle ein deutsches "Bärlyn" zu bauen. Nach der Sage hat Albrecht der Bär auch Bernau gegründet, dessen Namen sie von Bärenaue ableitet. Diese Sagen haben keinen geschichtlichen Kern, sie sind nichts weiter als volkstümliche Versuche der Namensdeutung. Albrecht der Bär ist nicht über die Havel-Nuthe-Linie hinausgekommen.

In den Barnim drang zuerst Otto I. ein, ohne jedoch hier festen Fuß zu fassen. Der Barnim war damals slawisches Interessengebiet; er war den Pommern hörig. die ihrerseits wieder unter dänischer Botsmäßigkeit standen und den askanischen Eroberungsbestrebungen starken Widerstand entgegensetzten. Von Albrecht II. (1205-1220) wird berichtet, daß er 1214 bis an die Oder vordrang und bei Oderberg eine Burg gegen die Slawen erbaute. Es gelang ihm sogar, in einem kühnen Vorstoß in Pommern einzudringen und Pasewalk und Stettin zu nehmen. Ein Gegenstoß der Dänen warf ihn aber bald wieder zurück, und Pasewalk und Stettin mußten geräumt werden. Dabei ging auch eine nicht mehr festzustellende Burg des Markgrafen - vielleicht Oderberg - verloren. Infolge dieses Fehlschlages wurde wahrscheinlich auch der Barnim wieder dem askanischen Einfluß entzogen. Sicherlich muß Albrecht II. bei seinem tiefen Eindringen in pommersches Gebiet Sicherungen im Rücken gehabt haben und so gewinnt die von Siegfried Passow aufgestellte Hypothese über die Militärstraße durch den Barnim auf Oderberg zu sehr an Wahrscheinlichkeit. Passow, Pastor in Hohen-Finow und eifriger Heimatforscher, hat nachgewiesen, daß Hohen-Finow der Endpunkt einer befestigten Straße war, die über die ursprünglich als Städte geplanten Siedlungen Blumberg, Warnow (jetzt Werneuchen), Beiersdorf und Heckelberg führte.

Erst als durch die Schlacht bei Bornhöved (1227) die Macht des Dänenkönigs Waldemar II. gebrochen wurde, wurden die Pommern vom dänischen Joch frei. In der Folgezeit fand eine Annäherung zwischen den Pommern und Askaniern statt, und so konnten Albrecht II. Nachfolger Johann I. und Otto III. nach der Märkischen Fürstenchronik 1232 von dem Herrn Barnem die Länder Barnow (Barnim), Teltow und etliche andere erwerben.

Um diese Zeit beginnt auch die friedliche Durchdringung und deutsche Besiedlung des Barnim. Bei dem Land- und Waldreichtum des Barnim und seiner geringen Besiedlung an den Rändern und in den Rinnen des Innern war für die nun beginnende Kolonisation reichlich Neuland vorhanden. Das Ansetzen der Siedler geschah unter der Oberhoheit des Markgrafen, die Besiedlung wurde gemeinsam von Rittern, Mönchen und Bauern durchgeführt. Sie lag für bestimmte Teile des Niederbarnim in der Hand von 2 Zisterzienserklöstern. Im Südosten des Barnim wirkte das Kloster Zinna. Nach dem Landbuch Karl IV. waren 1375 folgende Dörfer im Besitz Zinnas: Rüdersdorf, Altena, Kagel, Herzfelde, Hennikendorf, Rehfelde, Werder, Zinndorf, Hirschfelde, Kienbaum und Hönow. Dieser Besitz wird dem Kloster 1247 urkundlich bestätigt, die Dörfer sind also in der Zeit vorher von den Mönchen angelegt und mit Bauern besetzt worden. Der wertvollste Besitz des Klosters war Rüdersdorf mit seinen Kalkbergen; es wurde später zum Verwaltungsmittelpunkt des Klosterbesitzes im Barnim.

Ganz in unserer Nähe vollzog sich die kolonisatorische Tätigkeit des Klosters Lehnin. Urkundlich verbrieft wurde der Besitz des Klosters Lehnin im Barnim 1242 und 1244. In den Urkunden werden als Klosterbesitz aufgeführt: Arendsee (heute Gut), Tribusdorf (heute Wüstung) mit dem Lottsche-See, Bredewisch (heute Wüstung), Wandlitz, Stolzenhagen, der Wandlitzer- und der Rahmersee. Außerdem heißt es in der Urkunde von 1242: "Für die Besitzungen, die besagte Brüder von Lehnin durch die Schenkung unseres Vaters Albrecht, Markgrafen von Brandenburg, bei dem Berg, der der hangende Berg genannt wird, erhalten haben, haben wir ihnen Neuendorf, Woltersdorf, Klosterfelde und Schönerlinde, dessen Grenzen sich zwischen dem Buchholz und dem ebenso benannten Dorfe bis nach Santforth erstrecken, mit allem, was dazu gehört, zugeeignet."

Wenn wir uns die Lehniner Besitzungen näher ansehen, so lassen sich zwei Gruppen unterscheiden: Einmal die Dörfer Arendsee, Tribusdorf, Klosterfelde, Stolzenhagen, Bredewisch, Wandlitz, die sich um den Wandlitzer See gruppieren, und zum anderen, von der ersten durch ein heute noch bestehendes Waldgebiet getrennt, Schönerlinde, zu dem 1415 noch Mühlenbeck mit Sumt und 1476 Schildow hinzukommen. Für jedes dieser von ihm besiedelten Gebiete hatte das Kloster in einer grangia einen Verwaltungs- und Wirtschaftsmittelpunkt; die eine lag bei Wandlitz, die andere bei Schönerlinde. Grangia ist ein Wort aus dem Mittellatein, das heute noch in dem französischen la grange (die Scheune) anklingt. Eine grangia war ein Klostergutshof, der nicht von Mönchen, sondern von Konversen (Laienbrüdern) bewirtschaftet wurde.

Von der grangia Wandlitz meldet heute nur noch die Sage, die von einem Kloster erzählt. Auch die Sage von den versunkenen Glocken in den heiligen drei Pfühlen deutet vielleicht darauf hin. Mehr Kunde haben wir von der grangia Schönerlinde, im Volksmund als Altenhof fortlebend. Altenhof lag an einer alten Heerstraße - so heißt der Weg heute noch unter den Leuten -, die von Berlin über Blankenfelde, den Klosterhof, Basdorf und Wandlitz nach der Uckermark führte. Heute ist die alte Heerstraße ein unbedeutender Feldweg; der bäuerliche Pflug hat ihre Breite immer mehr eingeschränkt, nur der Name erinnert noch an die einstige Bedeutung.

Im Jahre 1458 gestattet Kurfürst Friedrich II. dem Kloster, den Hof zu Schönerlinde in einen Pachthof umzuwandeln und in Mühlenbeck einen neuen Hof zu erbauen. Ein gewisser innerer Verfall und der Mangel an Laienbrüdern mögen die Ursachen zur Aufgabe der Eigenwirtschaft gewesen sein. Von nun an verliert der Klostergutshof in Schönerlinde seine Bedeutung, er wird zum alten Hof = Altenhof. Wahrscheinlich ist er in den wilden Zeiten des 30jährigen Krieges zur Ruine geworden. Nach Klödens Angaben war die Ruine noch 1714 zu sehen und noch 1750 wurden Steine der Ruine zu Ortsbauten verwendet, etwa um 1830 verschwanden die letzten Reste.

Neben den Klöstern waren es markgräfliche Vasallen ritterlicher und bürgerlicher Herkunft, denen der Markgraf Land zur Anlage von Dörfern zuwies. Geschriebene Gründungsurkunden bestehen nicht; es ist auch fraglich, ob solche rechtlich überhaupt ausgestellt wurden. Aus den Dorfnamen und der Sprache, aus Wappen und Siegeln müssen wir mühsam herauslesen, was darin von der Vergangenheit verhüllt ist. Die Namen mancher unserer Dörfer bewahren heute noch die Namen ihrer unbekannten Günder. Es sei erinnert an Reinickendorf = Dorf des Reinhard, Hermsdorf = Dorf des Hermann, Basdorf = Bartoldisdorf, Borgsdorf = Dorf des Burkhart, Eggersdorf = Dorf des Eggebrecht, Ruhlsdorf = Dorf des Rudolf usw.

Woher kamen Bauern und Mönche, Ritter und Bürger, die damals unsere Heimat kolonisierten? Auch hier haben wir keine direkten Quellen. Wir müssen wieder aus den Namen die Herkunft herauslesen oder den Strahlen der Kolonisation folgen, die uns den Weg der Siedler andeuten. Der nach Osten vordringenden Volkswelle ziehen die Zisterzienser voran, die Winter, einer der beiden Kenner ihrer Geschichte im nordöstlichen Deutschland, als eine Verschmelzung von Bauer, Handwerker und Asket bezeichnet.

Zinna zog seine Siedler für den Barnim aus dem Jüterbogschen nach, wie die vielfach verpflanzten Ortsnamen andeuten. Die Bauern der Lehniner Dörfer des Barnim mögen zum großen Teil aus dem askanischen Besitz an der Elbe bei Wittenberg und aus der Zauche gekommen sein. Sie zogen wahrscheinlich über Spandau in den Barnim. Aber noch auf einer anderen Straße müssen Bauernzüge damals in unsere Heimat geführt worden sein. Von Brandenburg a. H. führte auch eine Straße durch den Glin über Bötzow (Oranienburg) vom Havellande her in den Barnim, die durch die Dörfer Schmachtenhagen, Wensickendorf, Stolzenhagen und Wandlitz bezeichnet wird. Schmachtenhagen und Stolzenhagen! Die durch das Land vordringende Schar der Siedler setzt dem schmächtigen Hagen auf dürftigem Sandboden den stolzen Hagen auf der diluvialen mergelreichen Hochfläche gegenüber.

Dem Stamme nach waren die Siedler hauptsächlich Niederländer, Flamen und Sachsen; ein wenig lüftet sich der Schleier über ihre Herkunft, wenn wir auf einzelne Ortsnamen schauen. Das häufig auftretende "y", beispielsweise in Hyelegensee oder Tygel (Tegelen bei Venlo!), deutet nach den Niederlanden. Unser Mühlenbeck - im Landbuch 1375 Molenbeke - finden wir in der Altmark als Möllenbeck und in Flandern zwischen Thielt und Iseghem als Molenbeke (heute Meulenbeke) wieder.

Im Barnim ist die Hufenzahl der Dörfer sehr ungleich; im allgemeinen gehen die Orte mit großer Hufenzahl auf die Anfangszeit, die mit geringer auf die Spätzeit der Kolonisation des Barnim zurück. Orte mit großer Hufenzahl sind im Niederbarnim: Blumberg (124), Hönow (118), Rosenfelde, heute Friedrichsfelde (104), Börnicke (84), Lindenberg (74), Ahrensfelde (72) und Rosenthal (72).

Die Wiedereindeutschung unserer Heimat vollzog sich im 13. Jahrhundert in zähem Kampfe entsagungsreicher Scharen deutscher Bauern, Bürger, Mönche und Ritter. Das in der Wendenzeit ziemlich menschenarme Wald- und Grenzland des Barnim wurde zu einer blühenden Kulturlandschaft umgeschaffen; das Landbuch Karls IV. zählt 1375 rund 200 deutsche Siedlungen im Barnim auf. ...


Quelle: Kalender 1937 für den Kreis Niederbarnim, (Herausgegeben 1936), Seite 42-44
Herausgeber: Kreisausschuß des Kreises Niederbarnim
Druck und Kommissionsverlag: Wilhelm Möller GmbH, Oranienburg b. Berlin