Bis vor wenigen Wochen waren sich alle Angehörigen und alle bezüglich Robert Stock Forschenden einig, dass dieser zwei Kinder hatte: Frieda, die später als verheiratete Müller das Gut in Werneuchen übernommen hat, und Anna, die als verheiratete Bothe hier in Mehrow das Gut übernahm.

Mehr als die beiden sind auch auf keinem Familienbild als Kinder von Robert und Sophie Stock erkennbar.
Das Bild rechts zeigt übrigens Sophie Stock (noch mit ungewohntem Leibesumfang) mit den Töchtern Frieda (geb. 8.9.1882) und Anna (geb. 9.1.1887), aufgenommen etwa 1895.


Bei der Sichtung des Nachlasses von Anna Bothe, Roberts jüngerer Tochter, gab es aber eine große Überraschung:

Unter den vielen Bildern und Postkarten, die uns Frau Müller aus Alfeld/Leine (die Witwe eines Robert-Stock-Enkels) freundlicherweise geliehen hatte, fiel uns eine Postkarte aus Krakau (jetzt Krakow in Polen) auf, die mit einer österreichischen Briefmarke versehen war. Krakau in Österreich ?

Ein Blick ins Geschichtsbuch zeigte schnell, dass nicht unsere Geografie-, sondern die Geschichtskenntnisse mangelhaft sind:
Bis zum ersten Wellkrieg gehörte Krakau zu Österreich-Ungarn und zwar ganz konkret zur Provinz Galizien. Wieder was gelernt !

Und wer schreibt da nun der Familie Stock aus Galizien ?

Man liest ja keine fremde Post - es sei dann, man ist neugierig. Und das waren wir inzwischen.
Einmal Lesen reichte aber nicht, da der Inhalt dieser am 18.XI.10 in Krakau abgestempelten Karte ziemlich umwerfend war:


Hochwohlgeboren
Herrn Robert Stock
Treptow bei Berlin
Treptower Chaussee 42
---
Lieber Papa!
Nochmals meinen herzlichen Dank für die freundliche Aufnahme!
Herzliche Grüße und Küsse von mir und Else an Dich, die liebe Mama und Anni!
Carl

Das kann doch nur ein Witz sein: Sohn Carl an Papa Robert Stock ! Mit Grüßen an Mama und Anni, womit sicher Anna Stock gemeint war - ihre Schwester Frieda war zu diesem Zeitpunkt schon längst verheiratet und in Treptow ausgezogen.
Bestimmt nur ein Scherz, wer betitelt denn schon seinen Vater mit "Hochwohlgeboren", wenn dieser Sohn eines Schlossers ist - und noch dazu zu jener Zeit ?

Wenig später findet sich dann im gleichen Postkartenstapel eine optisch wenig Aufsehen erregende Karte aus Italien, abgestempelt am 23.1.1912 in Genua, die den "Giardini Winter" (Garten Winter) in Bordighera (Italien) zeigt.

Sie ist an Robert Stocks Frau, Sophie Stock, adressiert und mit der gleichen Handschrift geschrieben wie die zuvor genannte.
Sie trägt neben der Unterschrift von "Carl" die von Robert Stock und hat folgenden Wortlaut:

H.W. Frau Sophie Stock ...
---
Liebe Mama!
Waren gestern in Bordighera und besuchten dabei den Garten von Winter, den Du auch kennst. Papa geht es recht gut; leider haben wir schlechtes Wetter! Hoffentlich bessert es sich. Herzliche Grüße und Handkuß
von
Carl
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Robert Stock

Der gleiche Spaßvogel belästigt nun auch noch Roberts Frau, und betitelt auch diese mit "H.W." wie "Hochwohlgeboren". Frechheit! Und Robert Stock beteiligt sich offenbar auch noch an solch einem Scherz ...
Aber wer unterschreibt schon eine Karte an seine eigene Frau mit Vor- und Zunamen und ohne ein persönliches Wort ? ... zum Beispiel Robert Stock !!!

Im Postkartenstapel finden sich mehrere, auf denen Robert nicht sehr ausschweifend nach Hause grüßt und die Karten unterschreibt, als würde er einen Beleg abzeichnen. Als Beispiel möge nebenstehende Karte dienen, die Robert seiner Frau Sophie vier Wochen später (am 25.II.12) aus Meran schreibt:

Frau Stock ...
---
Besten Gruß
Robert Stock


Kurz und knapp ...
Also, Roberts Unterschrift unter der zweiten Karte erhöht eher die Glaubwürdigkeit, als sie in Frage zu stellen. Und das "H.W." oder "Hochwohlgeboren" taucht auf vielen Karten auf - egal, wer da wem in der Familie Stock schreibt, man hat sich offenbar oft und gern einen Spaß daraus gemacht, den Empfänger so zu titulieren.

Wer ist denn nun dieser Carl, der da an Papa und Mama Stock schreibt ?
Um es vorweg zu nehmen: wir wissen es nicht, aber natürlich haben wir einen Verdacht ...

Carl war offenbar Ende 1910 mit (seiner Frau ?) Else in Berlin bei den Stocks zu Gast und bedankt sich anschließend brav. Wenn er sehr herzlich aufgenommen wurde und sich seinen Gastgebern sehr verbunden fühlte, könnte es schon sein, dass er diese "Papa" und "Mama" nennt und Anna, die Tochter der beiden, trotz ihrer inzwischen 23 Jahre "Anni".
Die erste Karte ist also kein richtiger Beweis für Irgendwas.

Dass besagter Carl ein reichliches Jahr später, als Roberts Stock offenbar schon krank war (er starb ein halbes Jahr danach), mit diesem auf Genesungsreise war und beide gemeinsam die in Berlin gebliebene "Mama" grüßen, läßt doch aber auf eine sehr enge Beziehung schließen.

Sollte vielleicht (um den Verdacht mal ganz vorsichtig auszudrücken) auch dieser Carl ein Kind von Robert Stock oder gar von Robert und Sophie sein ? Letzteres ist nicht so recht wahrscheinlich, denn warum sollte sonst nirgendwo von Carl die Rede sein?

Aber dass es sich um ein uneheliches Kind von Robert Stock handelt, könnte man sich schon zusammen spinnen.

Die Müllersche Verwandtschaft hält dagegen, dass sie davon wüsste - Robert und Otto Müller, die Söhne von Roberts Tochter Frieda und damit die Neffen eines vermeintlichen Sohnes von Robert Stock hätten mit Sicherheit ihren Kindern bzw. Ehefrauen davon erzählt.
Das kann man glauben - bestimmt hätten sie davon erzählt, wenn sie davon gewusst hätten.

Aber nehmen wir mal an, da gab es einen unehelichen Bruder von Frieda und Anna, dann ist es durchaus denkbar, dass man das damals nicht "breitgetreten" hat. Vielleicht wussten nicht einmal die Mädels was davon - Carl war zwar bei den Stock's zu Besuch und hat offenbar auch Anna kennen gelernt, aber als was er ihr vorgestellt wurde, ist nicht bekannt.

Und selbst wenn Frieda und Anna eingeweiht waren, Frieda's Söhne Robert und Otto, die damals (1912) fünf bzw. drei Jahre alt waren (siehe Bild links), müssen davon nichts mitbekommen haben.

Und Frieda hat vielleicht versprochen, nichts über den "inoffiziellen" Bruder zu erzählen und sich daran gehalten ....

Neben dieser Theorie sind natürlich unzählige andere Theorien denkbar und es sei einem guten Krimi-Autor überlassen, die Hintergründe aufzudecken und irgendein "Herzblatt"-Autor macht dann vielleicht eine hinreißende Story daraus ...

Wir wüssten nicht, wo wir anfangen sollten, Carl zu suchen - und wenn uns nicht wieder etwas mit den Postkarten Vergleichbares in die Hände fällt, bleibt es wohl weiter offen, ob es da einen Bruder von Frieda und Anna gab ...

Nachtrag vom März 2008:
Inzwischen ist uns ein Brief in die Hände gefallen, der von einer Else Ruppert an den "lieben Papa" Robert Stock gerichtet ist und auch Grüße von ihrem Mann Carl enthält.
Nunmehr sieht es so aus, dass diese "geheimnisvolle Else" eine Tocher Robert Stocks ist und besagter Carl damit dessen Schwiegersohn.