Kommt man in eine fremde Stadt, dann freut man sich, wenn es dort eine Stadtführung gibt, bei der einem die Sehens­würdigkeiten gezeigt und die Stadtgeschichte erklärt werden. Was man dort gesehen und gehört hat, kann man meist für die nächsten Jahre abspeichern und muss beim nächsten Besuch nicht unbedingt nochmal an einer Führung teilnehmen. So viel wird sich in der Zwischenzeit nicht geändert haben.
Anders in Altlandsberg: Da tut sich insbesondere im Schloss­areal binnen kurzer Zeit so viel, dass es beim nächsten Besuch schon wieder lohnt, an einem Rundgang teil­zunehmen und sich die jüngsten Fortschritte zeigen und erklären zu lassen. So kam es, dass sich ein Mehrower Entdeckungsreisender zum wiederholten Male einer Nachtwächterführung durch Altlandsberg angeschlossen hat.
Horst Hildenbrand, der ehrenamtliche Nachtwächter von Altlandsberg, hatte am 30. August abends um 20 Uhr zu einer Führung durch das abendliche Altlandsberg eingeladen.
Die Zeit war gut gewählt: Man konnte sich noch im Dämmerlicht einen Überblick verschaffen und später dann mit der Taschenlampe die Details erkunden.
Etwa ein Dutzend Interessierte hatte sich pünktlich an der Touristeninfo eingefunden, eine bunte Mischung aus jetzigen und früheren Altlandsbergern sowie Besuchern aus der Ferne und aus der Nachbarschaft, zum Beispiel aus Hönow.
Das Wetter war sehr angenehm - es war am Abend noch so warm, dass der Nachtwächter im Hemd erschien.
Nachdem auf dem Domänenhof das Gutshaus sowie das Ensemble rings um das Brau- und Brennhaus gezeigt und erklärt war, ging es über die Baustelle zur Schlosskirche.
Gesäumt war der Weg von Paletten mit Sandsteinen für die Einfassung der Schlossterrasse und die Balustrade auf der Seite des wieder entstehenden Schlossparks.
Horst Hildenbrand, der mit seinem hessische Dialekt nicht verbergen kann (und auch nicht will), dass er ein Zugereister ist, hat mit großer Ortskenntnis erzählt, wie das Schlossareal einst aussah und was davon wieder erschaffen wird.
Zum Beispiel der barocke Schlosspark samt Kreuzteich, der vor ein paar Jahren noch fast ein Urwald war.
Am Denkmal des Freiherrn Otto von Schwerin, dessen 400. Geburtstag 2016 gefeiert wurde, gab es den unvermeidlichen Ausflug in die Altlandsberger Geschichte. Es kam zur Sprache, dass Otto den ziemlich klammen Raub­rittern aus dem Geschlecht der Krummensees große Ländereien und dieses Areal an der Stadtmauer abgekauft hat.
Otto von Schwerin, der beim Großen Kurfürsten hohes Ansehen genoss und unter dessen Regentschaft eine Art „Ministerpräsident“ war, ließ sich hier ein Schloss bauen und einen Park anlegen, wie er im späten 17. Jahrhundert üblich war. Das Vertrauen des Kurfürsten war so groß, dass er ihm seine Söhne zur Erziehung übergab. Karl Emil, der noch im jugendlichen Alter starb, und Friedrich, der sich 1701 in Königsberg selbst zum „König in Preußen“ gekrönt hat, verbrachten hier einen großen Teil ihrer Kindheit.
Ein Bronze-Modell des Schlosses, das anhand einer einzigen existierenden Zeichnung und jüngst entdeckter Zimmerpläne gefertigt wurde, ist im Frühjahr dieses Jahres unter den Augen von viel Politprominenz enthüllt worden.
Das Schloss wird nicht wieder aufgebaut, aber auf seinem Grundriss werden Platten mit den Zimmernamen platziert.
Friedrich I. war später gern in diesem Schloss, sehr zum Leidwesen seines Sohnes, des späteren Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I., dem es in Altlandsberg zu langweilig war.
Gleich nach dem Tode seines Vaters hat er das Schloss ausräumen und die Möbel u. a. nach Charlottenburg schaffen lassen. Das Gebäude blieb jahrelang ungenutzt und als 1757 in der Schlossküche das Festmahl für eine Hochzeitsfeier hergerichtet wurde, brannte es fast vollständig ab.
Nur die Schlosskirche am Süd-Flügel des U-förmigen Schlosses blieb halbwegs erhalten und wurde als Gotteshaus für die französisch-reformierte Gemeinde wieder aufgebaut. Altlandberg war schließlich im 18. Jahrhundert eine Zwischenstation für viele französische Glaubensflüchtlinge, die unter anderem im Oderbruch angesiedelt wurden.
In der Schlosskirche, die schon für eine Hochzeit hergerichtet war und deshalb nur auf Zehenspitzen unter Meidung des Teppichs betreten werden durfte, fand sich endlich eine angemessene Sitzgelegenheit für den Nachtwächter.
Wenn früher sein Dienstherr gesehen hätte, dass er Licht und Hellebarde abstellt, es sich wie ein Kurfürst im Sessel bequem macht und ungehindert zu plaudern anfängt, dann hätte das sicher Ärger gegeben. Dieses Mal gab es vielmehr Beifall für die lehrreich-amüsanten Ausführungen.
Natürlich blieb nicht unerwähnt, dass die zu DDR-Zeiten geplünderte, aber auch für Schallplattenaufnahmen genutzte Schlosskirche nur überlebt hat, weil viele Jahre ein Glaser seine Werkstatt darin hatte. Vor ein paar Jahren ist sie von der Stadt zurückgekauft und sehr aufwändig saniert worden.
Inzwischen war es draußen stockdunkel und ohne Lampen nichts mehr zu sehen. Aber mit einer starken Taschenlampe angeleuchtet, waren Fassadenteile wie die Einfassung der Kirchentür noch eindrucksvoller als am Tage.
Schräg gegenüber der Schlosskirche stößt man derzeit auf einen Bauzaun, der freigelegte Mauerreste umschließt.
Hier stand einst die Orangerie, die im Winter die tropischen Gewächse des Schlossparks beherbergte. Diese wird teilweise wieder aufgebaut und ähnliche Funktionen übernehmen. Zeichnungen zeigen, wie sie aussehen wird.
Nach einem kurzen Abstecher zur Stadtkirche, die leider nicht zu besichtigen war, weil derzeit auch darin fleißig gebuddelt, freigelegt, verrohrt, verkabelt und gemalert wird, ging es zum Brau- und Brennhaus auf dem Domänenhof.
Das ist ja nun schon seit geraumer Zeit in Betrieb und als Gaststätte und Veranstaltungsort sehr beliebt. Die alten, unbehandelt erscheinenden Mauern, eiserne Konstruktions­teile und Aufsehen erregende Einrichtungsstücke wie der riesige Kamin im Foyer können dem Auge genauso viel bieten wie der Koch dem Magen - vom köstlichen, selbst gebrauten Bier mal ganz zu schweigen.
Es ist kaum vorstellbar, dass hier vor zehn Jahren noch die Bäume aus dem Dach wuchsen und die halb eingefallenen Mauern mit Schutt und Gerümpel gefüllt waren. Jetzt ist das innen und außen ein Schmuckstück.
Ein Schmuckstück und auch ein Segen für jeden Stadt-Erklärer ist das Wandbild im Treppenhaus, auf dem viele für Altlandsberg bedeutende Persönlichkeiten, aber auch orts­typische Bewohner vereint sind, bis hin zum Prinzenpaar des Großen Kurfürsten, das unter der Tischdecke hervor schaut.
Dieses Bild kann fast die ganze Stadtgeschichte erzählen.
Und auch im großen Festsaal, der bei unserem Besuch schon für die Hochzeitsfeier am nächsten Tag hergerichtet war, wimmelt es an genialen Bildern des Malers Rainer Ehrt, die Figuren aus der Altlandsberger Stadtgeschichte zeigen.
Wer hier fein tafelt, hat zwischen den einzelnen Gängen viel zu schauen!
Der Nachtwächter kann zu jedem Bild was erzählen, aber das Meiste erzählen ja die Bilder von allein - oder man kann sich leicht seinen eigenen Reim darauf machen. Die von zwei Mädchen umgarnte Vogelscheuche kann man zum Beispiel als Einladung zum alljährlichen Vogelscheuchenmarkt auffassen - in diesem Jahr war der gleich ein paar Tage später. Der ist auch immer einen Besuch wert!
Der von Luftballons verdeckte Große Kurfürst wird nur leider bei der anstehenden Hochzeitsfeier nicht viel sehen ...
Nach zwei Stunden fand die Nachtwächtertour dann am Biertisch vor dem Brau- und Brennhaus ihren Ausklang - natürlich mit einem Nachtwächterbier!
Horst Hildenbrand war hoch erfreut, als ihm Teilnehmer der Tour erzählten, dass nicht nur in Warnemünde, sondern auch in anderen Orten an der Ostseeküste neben anderen Altlandsberger Bieren auch das nach ihm benannte Nachtwächterbier im Angebot ist.