Bereits seit einiger Zeit wissen wir aus einem Artikel in der Tageszeitung "Neuer Tag" vom 10. Mai 1957, der überschrieben ist mit "1919 unter der Knuthe eines Bothe ...", daß es um 1920 in Mehrow erhebliche Unstimmigkeiten zwischen Gutsherrschaft und Gutsarbeitern gab:

... Liebe Kollegen, erinnert Ihr Euch noch, als wir von diesen Herren einen Stundenlohn von 0,31 Mark erhielten und uns kaum das Notwendigste zum Leben unserer Familien kaufen konnten ? Soll es wieder so sein, daß ein Herr Bothe uns am Weihnachtsabend den Lohn kürzt und wir unseren Müttern und Frauen keine Weihnachtsfreude bereiten können ?
Meine Antwort ist: Nein! Damals haben wir diesen Herren auch eine Antwort gegeben, indem wir uns als Landarbeiter dem Landarbeiterverband anschlossen, aber durch dessen reaktionäre Führung wir nur einen Teilerfolg zu verbuchen hatten. ...

Quelle: „Neuer Tag. Heimatzeitung für den Kreis Bernau", 10. Mai 1957, stark gekürzt

Leider hatten wir bisher keine weitergehenden Informationen dazu, da sich über 80 Jahre später keine aussagekräftigen Zeitzeugen mehr finden. Jetzt (August 2004) ist uns glücklicherweise ein weiterer Teil des Nachlasses unserer letzten Gutsbesitzerin, Frau Anna Bothe, in dei Hände gefallen, der etwas Licht in die Angelegenheit bringt. Dort findet sich eine Mappe, mit dem Titel "Aus politischer Zeit", die einige Zeigungsartikel aus den 20er Jahren über Mehrow enthält.

Darunter sind auch einige Ausgaben des "Deutschen Landarbeiterblatt[es]", das als Organ des national gesinnten Landarbeiterbundes für einen Interessenausgleich zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern auf dem Lande eintrat und damit im krassen Gegensatz zum sozialdemokratisch orientierten Landarbeiterverband stand, der für einen Kampf der Klassen eintrat.

Die Oktober-Ausgabe 1920 der o.g. Monatsschrift titelte mit einem Bild vom Erntefest 1920 in Mehrow und erklärte bezugnehmend auf die vermeintliche Harmonie in Mehrow die Ziele des Landarbeiterbundes:

Wir erstreben eine ehrliche Arbeitsgemeinschaft

Bild: Die Ortsgruppe des Reichslandarbeiterbundes in Mehrow bei Berlin feiert mit der Familie der Gutsherrschaft (Besitzer Herr Bothe) das Erntefest.

Siehe den besonderen Artikel mit 2 weiteren Bildern.

Unser Bild zeigt Landarbeiter, Arbeiterinnen und Beamte mit der Familie des Unternehmers in bester Harmonie. Bei der Arbeit gehören diese Menschen zusammen. Es ist schlechthin ein Unsinn, durch Schürung des Klassenhasses diese natürliche Arbeitsgemeinschaft zu sprengen. Diese Arbeiter auf dem Bilde sind sämtlichst im Reichslandarbeiterbund organisiert und der Unternehmer ist ein vernünftiger Mann, der nicht nur sozial denkt, sondern auch sozial handelt. Die sozialen Gegensätze werden ausgeglichen und einer trägt des anderen Last. Man sieht nur fröhliche Gesichter, jeder geht mit Freudigkeit an die Arbeit. Die Wirtschaft wird nicht allmälig [!] ruiniert, sondern liefert den Städtern Lebensmittel und bietet den Landarbeitern Lebensexistenzen. Der Unternehmer arbeitet nicht mit Klassengegnern, sondern mit Freunden und kann sich auf jeden seiner Arbeiter unbedingt verlassen.

So haben wir in Deutschland noch tausende Gruppen in der wirtschaftsfriedlichen Landarbeiterbewegung vereinigt. Es könnten noch mehr sein, wenn die Klassenkampforganistionen nicht mit Terror und anderen Zwangsmaßnahmen arbeiten dürften und das ist das wichtigste: wenn nicht viele Unternehmer soviel Angst hätten. Ach, heißt es, nur keine Störung, wenn Sie kommen, dann setzt ein verschärfter Kampf ein und wir haben Unruhen zu befürchten. Das ist ein falscher Standpunkt. Wehre dich gegen Deinen Bankerott, solange Du noch die Kraft dazu hast! Viele Unternehmer wissen genau, dass ein großer Teil ihrer Arbeiter gerne Freud und Leid mit ihm tragen. Sie könnten den Kampf gegen die sozialistischen Handlanger der Entente, die als einziges Ziel die Vernichtung der Volkswirtschaft, deren letzte Stütze noch die Landwirtschaft ist, erstreben, ohne Bedenken aufnehmen. Nein, es muß erst alles zusammenbrechen. Soll Deutschland gesunden, dann muß das Bürgertum (dazu gehört auch die nationale Arbeiterschaft) zusammenstehen und den Feind erkennen. Der Landbundgedanke muß sich durchsetzen. Wir brauchen eine ehrliche Arbeitsgemeinschaft. Treue um Treue! …
...



Quelle: „Deutsches Landarbeiterblatt. Eine Zeitung für alle Stände der Landbevölkerung.“
Zentralorgan des Reichslandarbeiterbundes.
Organ des Landarbeiterbundes und des Gewerkschaftsbundes der Landarbeiter und Stallschweizer.
Oktober 1920 (2. Jahrgang, Nr. 10), gekürzt

EIn fast zweiseitigen Bericht über das Mehrower Erntefest 1920 an gleicher Stelle wird dann das ausgesprochen harmonische Verhältnis zwischen Gutsherrschaft und Arbeiterschaft in unserem Ort betont und auch gleich der Grund dafür genannt:

"Hier ist eine Insel, wo noch deutschvölkischer Geist und Gottesfurcht eine sichere Heimstatt hat. Solche vernünftige Menschen sind natürlich in einer nationalen und christlichen Landarbeiterorganisation. Da der Klassenkampf nicht nur höherer Blödsinn, sondern auch eine große Gefahr für die Volkswirtschaft ist, so sind alle Arbeiter und Arbeiterinnen im Reichslandarbeiterbund organisiert."

Zu der Zeit hat es hier aber vermutlich schon ziemlich gebrodelt hat - denn kurz darauf findet sich in der Presse ein Schlagabtausch zwischen den Vertretern des Landarbeiterbundes und des Landarbeiterverbandes.

Oben stehender Artikel und der Bericht über das Mehrower Erntefest 1920 haben offenbar einen Journalisten namens Wentzke veranlaßt, in der sozialdemokratischen Zeitschrift "Landbote" (der uns leider nicht vorliegt) einen Artikel über die Zustände in Mehrow und den hier stattfindenden Arbeitskampf zu schreiben.

Dies war nun wieder Anlaß für das national orientierte "Landarbeiterblatt", das Zentalorgan des Reichlandarbeiterbundes, das Verhalten unseres Rittergutsbesitzers in's rechte Licht zu rücken und z.B. hier erfolgte Kündigungen zu rechtfertigen.
Hart wird dabei verständlicherweise mit dem konkurrierenden sozialdemokratischen "Landarbeiterverband" zu Gericht gegangen und dieser als "Schlange im Paradies Mehrow" gebrandmarkt:



Die Schlange im Paradies Mehrow

Der „Landbote“, das sozialdemokratische Organ, welches besonders im Kreise Niederbarnim verbreitet wird, hat Herrn Wentzke vom sozd. Landarbeiterverband seine Spalten geöffnet. Herr Wentzke schreibt einen langen Artikel über „Landarbeiter-Paradies Mehrow!“. Bei dem Lesen dieser Ausführungen kommt uns zum Bewußtsein, das erst die Schlange aus dem Paradies eine Stätte der Unruhe, der Unzufriedenheit und des Misstrauens gemacht hat.

Das Erntefest in Mehrow, die Bilder und Berichte in unserem Blatt haben es Herrn Wentzke angetan. Solche Herren, deren Führer von der „verfluchten Zufriedenheit“ sprechen und die nur auf dem Boden der Unzufriedenheit ihre Saat: Haß, Neid, Mißgunst, Klassenkampf, mit „wachsendem“ Erfolg ausstreuen können, hassen solche Bilder und Berichte, wie der Teufel das Kruzifix. Da wird die Schlange mit den Giftzähnen losgelassen. Aber das Gegengift ist vorhanden in Gestalt der vernünftigen Arbeiter, die nicht auf Phrasen und Verleumdungen hören, sondern die sich an Tatsachen halten. Die Tatsachen sprechen doch eine andere sprache als der Artikel des Herrn Wentzke.

Was hat man Bothe schon alles nachgeredet ? Jeder nationale Briefträger bekam ein ganzes Schwein, und ähnliche Ammenmärchen schrieben sogar die geistesverwandten Blätter des Herrn Wentzke. Nein, Herr Bothe gibt jedem, der in Not ist. Ein Arbeiter (Anhänger der U. S. P.) hat lange Zeit für sein krankes Kind jeden Tag einen Liter Milch bekommen und zwar um des kranken Kindes willen! Warum sollte Herr Bothe denn seine eigenen Arbeiter schlechter behandeln, als außenstehende ? Berechtigte Wünsche und Forderungen werden sofort erfüllt, dafür stehen wir ein. Herr Bothe gehört zu der Gruppe der Arbeitgeber, die gerecht sind. Habt ihr Mehrower Mitglieder berechtigte Forderungen, tragt sie vor, oder sagt es uns: mit Herrn Bothe kann man sich im Frieden verständigen! Ein Paradies gibt es nicht in Mehrow, wo noch gearbeitet werden muß. Ein solches Paradies schafft uns noch weniger der Landarbeiterverband mit seiner Verhetzung. Das Erntefest war ein harmonisches Gemeinschaftsfest. Wer das nicht zugeben will, ist nicht ehrlich. Das Gruppenbild ist kein Zerrbild, sondern die getreue Wiedergabe einer Tatsache. Nicht wir haben Zersplitterung in die sozd. Organisation getragen, sondern umgekehrt.

Für das Gewesene gibt selbst der Jude nichts mehr. Herr Wentzke sollte doch wissen, dass all die Vorwürfe nicht auf das Erntefest, das Paradies und Herrn Bothe zutreffen. Ob die Angaben stimmen oder nicht, wollen wir nicht nachprüfen, jetzt ist die Voraussetzung für eine echte Arbeitsgemeinschaft vorhanden. Die guten Verhältnisse sind unter Leitung des Herrn Bothe geschaffen worden. Was vorher verfehlt wurde, darf gerügt, aber hiermit nicht vermengelt werden. Herr Bothe war damals noch garnicht da. Noch ein Beispiel: Jeder Arbeiter kann in Not geraten. Herr Bothe hat den anti-reaktionären Arbeiter genau so geholfen wie den angeblich „reaktionären“ Arbeiter. Die Beweise treten wir an! Bis jetzt hat noch kein Terror „gewütet“, wie Herr W. sagt. Wenn die elende Verhetzung nicht aufhört, dann hat jede Geduld ein Ende, dann werden es die Arbeiter sein, die auf Grund ihres freien Koalitionsrechtes Ruhe fordern.

Daß der Maurer Martwich gekündigt worden ist, ist doch wohl sein eigener Wunsch gewesen, sonst hätte er doch nicht so provoziert und der Wahrheit entgegen den Arbeitern vorgemacht, sie bekämen ihr tarifmäßiges Recht nicht. Herr Wentzke hat selbst zugegeben in einer Versammlung, daß das Gegenteil von einer Entlohnung unter Tarif die Wahrheit ist. Die bedeutenden Sondervergütungen haben alle Arbeiter, auch nachweislich 5 bekannte Verhändler, erhalten. Wer außerdem noch wegen mangelnder Berufsarbeit entbehrlich ist und dann noch jetzt Beamte öffentlich beleidigt und Berufsgeheimnise verletzt, darf sich nicht wundern, wenn er schließlich gekündigt wird. Diese Kündigung erfolgte auch schon vor der „Verbands“-Periode. Wenn Herr Wentzke Recht hätte, dann hätte einmal der „schwerkriegsbeschädigte“ Martwich sich in den Schutz der Gesetze begeben und hätte dem Herrn Bothe nicht Zeugen gegenüber das Zeugnis „gut“ ausgestellt. Aehnlich ist es auch mit den „im Winter auf die Straße gesetzten“ Arbeitern, von denen einige gerne wieder kommen möchten.

Warum hat denn nun Herr Wentzke so eine Furcht vor Mehrow und unserm Landarbeiterbund? In dem Artikel schlägt er uns dreimal vernichtend aufs Haupt. Nun sind wir tot! - Wir bitten um stilles Beileid! - Aber wir stehen schnell wieder auf, denn deutsche Männer fürchten sich nicht! Herr Wentzke hat uns ja selbst einen Freibrief gegeben: Wird die Gerechtigkeit zum Schaden unserer Kollegen und der Allgemeinheit übers Knie gebeugt, dann - drückt Herr W. auf den Knopf und die Bataillone marschieren. Wir wollen nur die Gerechtigkeit! Nichts anderes. Die Bataillone haben das Marschieren satt, ein revolutionärer (!) Geist macht sich bemerkbar. Auf diese Errungenschaften der Revolution, daß wir auf ungesetzlichem Wege in den sozialistischen Landarbeiterverband gezwungen werden, pfeifen wir. Wir sind deutsche Arbeiter und stellen uns auf nationalen Boden. Wir stehen auf christlicher Grundlage und geben in sozialer Weise jedem das Seine. - Reaktionär ist Quatsch! Wir wollen keine Reaktion, sondern freies Versammlungsrecht, Friede in jeder Beziehung, auch mit unserm Arbeitgeber. Wir wollen Arbeit und Brot! Eure Internationale müsst ihr mal wenden lassen, damit das angelsächsische Großkapital in England und Amerika auch mal etwas davon merkt. Wir brauchen bei uns keine Internationale, sondern erstmal innere Ordnung und Ruhe, damit die Volkswirtschaft gesund wird. Wenn die Sache des großen Landarbeiterverbandes so gut wäre, dann brauchte er uns kaum zu beachten. Aber die Angst vor Aufklärung! Die national gesinnten Arbeiter gehören nicht in das rote Joch; die roten Arbeiter schütteln das „gelbe Joch“ ab (um mit Herrn Wentzke zu sprechen). Wenn sich die Geister geschieden haben, dann laßt uns in Ruhe! Was jeder braucht muß er haben: Wir Ordnung und Existenz, die anderen Unordnung, Hetze und Klassenkampf.

Quelle: „Deutsches Landarbeiterblatt. Eine Zeitung für alle Stände der Landbevölkerung.“
Zentralorgan des Reichslandarbeiterbundes.
Organ des Landarbeiterbundes und des Gewerkschaftsbundes der Landarbeiter und Stallschweizer.
Dezember 1920 (2. Jahrgang, Nr. 12)

In der Juni Ausgabe 1921 (und sicher nicht nur dort) legt das "Landarbeiterblatt", das sich jetzt "Eine nationale Zeitung ..." nennt, nochmal nach und erklärt in einem Beitrag

"Deutschlands Not und unser täglich Brot"

daß die Landbevölkerung "durch die Entmilitarisierung und die Streikpolitik der neuen Regierungsform mit ins Elend gezogen werden" soll und daß die Rettung im Landbundgedanken zu suchen ist.


Deutschlands Not und unser täglich Brot
...
Landarbeiter! Die Einheitsfront - der Landbundgedanke kann nur Rettung bringen. Schließt die Reihen und jagt die Hetzer zum Tempel hinaus. Schafft Einigung mit Eurem Arbeitgeber. Die fruchtlosen Klassenkämpfe können wir uns nicht leisten. Gegensätze müssen gerecht überbrückt werden. Die sozialistische Lehre hat Euch und unser Volk ins Verderben gebracht. Der nationale Wille, gemeinsam mit dem Arbeitgeber die Not des Vaterlandes zu mildern, uns und dem Volk Brot zu schaffen, zeigen uns den Weg. Ab vom internationalen Sozialismus, zurück zur Vaterlandsliebe, Gottesfurcht und zum Wirtschaftsfrieden! Nur so sind die Vorbedingungen erfüllt, die uns zu der Bitte berechtigen: „Unser täglich Brot gib uns heute!“
...

Quelle: „Deutsches Landarbeiterblatt. Eine nationale Zeitung für alle Stände der Landbevölkerung.“ Zentralorgan des Reichslandarbeiterbundes.
Monatsschrift für alle nationalen und christlich gesinnten Landarbeiter. Organ des Brandenburgischen Landarbeiterbundes.
Juni 1921 (3. Jahrgang, Nr. 6), gekürzt

Im Jahre 1921 war der Streit zwischen Gutsherrschaft und Gutsarbeitern in Mehrow so weit eskaliert, daß die Gutsherrschaft alle nicht tariflich vorgeschriebenen Vergütungen und Aktivitäten ausgesetzt hat, weshalb in jenem Jahr auch das Erntefest ausfallen mußte.

... Im vorigen Jahr war diese Feier ausgefallen. Der Landarbeiterverband hatte einen Keil in das gute Verhältnis getrieben und einen Teil der Arbeiterschaft in bekannter Weise aufgehetzt. Der Besitzer hielt sich nun wörtlich an den Tarifvertrag. Erntefeste, Weihnachtsspenden für Kinder, Zuwendungen aller Art bei Hochzeiten, Kindtaufen und anderen Gelegenheiten, ganz besonders die Krankenpflege, stehen nicht darin. Um jeden Streit zu vermeiden und den Hetzern Gelegenheit zu geben, es vorteilhafter zu machen, gab der Besitzer auch diese innigen Verbindungspunkte auf ...

Quelle: „Deutsches Landarbeiterblatt ...", 1. Oktober 1922 (4. Jahrgang, Nr. 19), stark gekürzt

Ein Jahr später kann das "Landarbeiterblatt" dann mit dem vorstehend zitierten Artikel wieder von einem Erntefest (1922) in Mehrow berichten und davon, daß "die vernünftigen Arbeiter in Mehrow den stinkigen, störenden Keil wieder entfernt" haben und daß "wieder ein gutes Verhältnis aller Arbeiter mit dem Besitzer" besteht.

Unter "Dorffeste in den 20er Jahren" finden sich übrigens ein paar Bilder, die u.a. auf den genannten Dorffesten entstanden sind.


Das oben benutzte Material entstammt überwiegend dem Nachlaß von Frau Anna Bothe, unserer letzten Gutsbesitzerin, und wurde uns freundlicherweise von Herrn Hans Müller aus Nordhorn zur Verfügung gestellt.