Im Nachlaß von Anna Bothe findet sich auch eine Mappe mit dem Titel "Aus politischer Zeit", die einige Zeigungsartikel aus den 20er Jahren über Mehrow enthält.

Darin befinden sich auch einige Ausgaben des "Deutschen Landarbeiterblattes", dem Organ des Landarbeiterbundes, der auf einen Interessenausgleich zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ausgerichtet war. Im Oktober 1920 erschien in dieser Monatsschrift ein umfangreicher Artikel über das Dorffest in Mehrow, worin insbesondere das vermeintlich gute Verhältnis zwischen Gutsherrschaft (Max und Anna Bothe) und den Gutsarbeitern unseres Ortes gelobt wurde.

Vorangestellt war ein (ebenfalls mit einem Bild vom Mehrower Dorffest dekorierter) Artikel mit dem Titel "Wir erstreben eine ehrliche Arbeitsgemeinschaft", der die Ziele des Landarbeiterbundes darlegt und sich gegen einen Klassenkampf wendet. Diesen haben wir als Einstieg in unseren Beitrag "Arbeitskampf in Mehrow" verwertet, denn offenbar waren die Stimmung hier nicht ganz so friedlich, wie im nachfolgenden Beitrag ausgeführt. 1921 fiel das Erntefest wegen Diskrepanzen zwischen der Gutsherrschaft und den Gutsarbeitern aus und erst 1922 gab es wieder ein Erntefest in Mehrow.



Erntefest in Mehrow b. Berlin
(zum Bilde auf der Titelseite)

Die Gutsgemeinde Mehrow bei Berlin feierte am 4. September ihr Erntefest. Es war ein Sonnabend, aber alle Arbeit ruhte. Dieser Tag war nicht nur ein Erntefest, sondern nach alter Väter Sitte ein Ernte-Dankfest. Schon der frühe Morgen des Tages fand die ganze Gemeinde in der alten und doch so traulichen Kirche versammelt. Die Arbeiter und Arbeiterinnen, die Handwerker und Beamten dankten gemeinsam mit der Gutsherrschaft dem Gott, ohne dessen geheimnisvolle Kraft nicht ein Körnchen gedeiht. Andächtig lauschte die Festgemeinde den Worten des Geistlichen und kräftig erklangen die Lob- und Danklieder. Der ganze Ort hatte Festschmuck angelegt. Das Tannengrün umrahmte überall die Herbstblumen und stimmungsvoll wirkten die schwarz-weiß-roten Fahnen, Fähnchen und Schärpen. Diese Farben wurden gewählt, weil die Einwohner an Deutschlands Zukunft glauben und nach wie vor auf nationalem Boden stehen.

Hier ist eine Insel, wo noch deutschvölkischer Geist und Gottesfurcht eine sichere Heimstatt hat. Solche vernünftige Menschen sind natürlich in einer nationalen und christlichen Landarbeiterorganisation. Da der Klassenkampf nicht nur höherer Blödsinn, sondern auch eine große Gefahr für die Volkswirtschaft ist, so sind alle Arbeiter und Arbeiterinnen im Reichslandarbeiterbund organisiert. „Wir wollen mit unserer Herrschaft im Frieden leben, wir gehören zusammen, darum halten wir zusammen!“ ist dort die Losung.

Die Musik hatte einen lustigen Tag. Da langte der achtstündige Arbeitstag nicht. Zunächst wurden die Kronen-Jungfrauen aus dem Dorfe abgeholt und dann ging es im geschlossenen Zuge zum festlich geschmückten Herrenhaus, vor dem die Gutsherrschaft, Herr und Frau Bothe, mit Gästen den Zug erwarteten. Mit reizenden Gedichten wurde die Erntekrone überreicht. Auf die Ansprachen der Arbeiter antwortete Herr Bothe mit kernigen Worten. Die Kernpunkte waren: „Ich danke Euch! Ihr habt fleißig gearbeitet und voll Euere Pflicht getan! Ich will, dass es Jedem gut geht. Wir wollen auch in Zukunft in Freud und Leid treu zusammenhalten. Ich biete Euch als Freund die Hand und gelobe: Treue um Treue!“ – Es wechselten Hochs’s auf die Gutsherrschaft, Beamten und die Arbeiterschaft. Diese Feier schloß mit dem Tanz nach alter Sitte. Der Gutsherr tanzte mit den Kronenjungfern und die Gutsherrin mit dem Großknecht und dem ersten Schnitter.

Um Mittag versammelte sich der Festzug. Alle Pferde mussten mitwirken. Die Männer stolz zu Roß, die Frauen und Mädchen auf festlich geschmückten Erntewagen zogen mit der Musikkapelle durch die Felder und einige benachbarte Dörfer. Auch dieser Umzug war ein nationales Glaubensbekenntnis.

Nachmittags 3 Uhr versammelte sich der Festzug (diesmal alle per Beenekes) wieder auf dem Gutshof und wurde von der Gutsherrschaft und schmetternder Marschmusik nach der großen Festwiese geführt. Das war ein Leben. Verkaufsstände, Kletterstangen, Schießstand, Wettlaufen, Sackhüpfen und alles, was sonst noch möglich war, wurde dort geboten. Eine Stunde wurde noch der ernsten Feier gewidmet. Es ist schwer zu sagen, was dort am schönsten war. Der Lehrer mit den Schulkindern brachte mit den Gesängen und Ansprachen der Kleinen gleich eine Stimmung in die Feier, die bis zum Schluß am andern Morgen anhielt. Herr Inspektor Elfert hielt die Festansprache. Er dankte seinen treuen Mitarbeitern und sprach von den drei Faktoren, die zur Landarbeit gehören: Arbeit, Führergeist und Technik mit Produktionsmitteln und als dritter im Bunde - unser Herrgott! Auch der Leiter des Reichslandarbeiterbundes, Herr Peter, hielt eine Ansprache. Es waren wenige, aber herzliche Worte. Dem Gutsbesitzer sagte er: „Wir schlagen in die dargebotene Hand ein und geloben: Treue um Treue!“ Mehr als 60000 Landarbeiter stehen hinter Euch, steht auch Ihr Freunde in Mehrow treu zum Reichslandarbeiterbund! Das Treue-Gelübde wurde durch brausenden Beifall bestätigt.

Zwölf weiß gekleidete Landarbeiterinnen führten einen (von Herrn Preuße eingeübten) Reigen auf. Etwas reizenderes ist in dieser Vollendung wohl kaum geboten worden. Immer neue Bilder wurden „gegangen“. Wir haben unseren Lesern das Bild dieser Künstler (siehe oben) gebracht, um zu zeigen, daß bei geschickter Leitung auf dem Lande auch Kunstgenüsse geboten werden können.

Besonders geehrt wurden auch die Aeltesten der Arbeiterschaft. Wir bringen hier das Bild (Fünf Jubilare) dieser Getreuen.

Da ist Schmiedemeister Ernst Krause (4. erste Männereihe) der 38 Jahre auf dem Gut arbeitet. Dann Julius Rose (2. erste Männerreihe) der 35 Jahre treue Dienste geleistet hat. Dann Altknecht Franz Villbrandt (hinten rechts von der mittelsten Kronenjungfrau, mit der Schärpe) hat 23 Jahre seine schweren Pflichten treu erfüllt. Links von der Mitteljungfrau sehen wir Meister Aug. Lehmann, der feiert auch in zwei Jahren sein 25-jähriges Dienstjubiläum. Auf dem Bilde ist noch ein Jubilar, Adolf Strehmann, (er steht in der hintersten Reihe am rechten Flügel). 21 Jahre arbeitet er auf dem Gute. Alle sind noch in voller Manneskraft und haben alles mit aufgebaut. Einer der Jubilare schilderte die Entwicklung des Gutes, sprach für seine Mitarbeiter: Wir sind mit dem Gut verwachsen. Die Herrschaft ist streng, aber reell!

Herr Rentmeister Preuße hatte herrliches Wetter bestellt, kam den ganzen Tag nur einmal in Schweiß, denn er hatte die Festleitung übernommen und musste überall sein, alles klappte vorzüglich. Die zündende Schlußrede des Herrn Preuße war ein würdiger Abschluß der wohlgelungenen Feier, die mit dem gemeinschaftlichen Gesange des Niederländischen Dankgebets abschloß.

In den Zwischenpausen wurde natürlich gegessen, getrunken und geraucht. Abends brachten die Kinder der Herrschaft einen Fackelzug mit bengalischer Beleuchtung. Die Kinder sangen sich in die Herzen aller. Der Lehrer zeigte sich als Meister der Redekunst, um so mehr wirkten die treu-deutschen Worte.

Ob getanzt wurde ? Genau drei Stunden über den Normal-Arbeitstag. Das durfte sein, denn das ganze Fest spielte sich ja außerhalb des Tarifs ab. Daß ein Häckselboden so ein schöner Tanzsaal sein kann, ist nur zu glauben, wenn man annimmt, daß er schon gleich für diesen Zweck gebaut ist. - Gedankt wurde der Gutsherrschaft, die es hatte an nichts fehlen lassen. Es [ist] wohl selten ein Fest so würdig, schön und harmonisch verlaufen als das Erntefest in Mehrow.

Quelle: „Deutsches Landarbeiterblatt. Eine Zeitung für alle Stände der Landbevölkerung.“
Zentralorgan des Reichslandarbeiterbundes.
Organ des Landarbeiterbundes und des Gewerkschaftsbundes der Landarbeiter und Stallschweizer.
Oktober 1920 (2. Jahrgang, Nr. 10)


Die in diesem Zeitungsartikel benutzten Bilder des Erntefestes 1920 haben wir bereits vor einiger Zeit in unserem Artikel "Dorffest in den 20er Jahren" verwendet - hier sind sie noch einmal mit den im "Kandarbeiterblatt" gefundenen Bildunterschriften:


Die Ortsgruppe des Reichslandarbeiterbundes in Mehrow b. Berlin feiert mit der Familie der Gutsherrschaft (Besitzer Herr Bothe) das Erntefest. Landarbeiterinnen der Ortsgruppe Mehrow b. Berlin, die einen kunstvollen Reigen beim Erntefest aufführten. Fünf Jubilare

Die oben genannten Jubilare wollen wir hier nocheinmal etwas besser ins Bild bringen:

Die Herren von links nach rechts:
hinten: Meister Aug. Lehmann, Altknecht Franz Villbrandt (mit Schärpe), ?, Adolf Strehmann,
vorn: ?, Julius Rose, ?, Schmiedemeister Ernst Krause, ?


Das oben benutzte Material entstammt dem Nachlaß von Frau Anna Bothe, unserer letzten Gutsbesitzerin, und wurde uns freundlicherweise von Herrn Hans Müller aus Nordhorn (Zeitung) und Frau Eva-Margot Müller aus Alfeld/Leine (Fotos) zur Verfügung gestellt.