Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!

Frau Dietrich wurde am 18.9.1914 in Mehrow geboren und ist dem Ort bis heute treu geblieben. Mit ihren nunmehr 87 Jahren ist sie die älteste Einwohnerin Mehrows, die hier geboren wurde und stets hier gelebt hat.

Sie kann so unglaublich viel über den Ort und seine früheren und jetzigen Bewohner erzählen, dass es richtig spannend ist, ihr zuzuhören - nicht nur wenn es um die mysteriöse Gruft unter der Kirche geht ...

Sie bedauert selbst sehr, dass man sie erst jetzt befragt, wo sie schon so viel vergessen hat. Aber das, woran sie sich noch erinnert, wirft Licht auf viele noch dunkle Stellen unserer Dorfgeschichte.
Frau Elise Dietrich im September 2001

Frau Dietrich wurde also etwa zeitgleich mit dem Beginn des ersten Weltkrieges hier im Dorf geboren, als zweitälteste von insgesamt 7 Geschwistern. Ihre Eltern, die Eheleute Kasperzyk, hatten in dem zweistöckigen roten Haus in der Mitte der Dorfstaße (Nr. 14) links oben ihre Wohnung. In diesem Haus, in dem auch Schmiedemeister Krause mit seiner Frau und zwei Kindern (Tochter und Sohn) wohnte, hat Frau Dietrich ihre ersten Lebensjahre zugebracht.

Mit knapp 7 Jahren ist sie 1921 in die Mehrower Schule gekommen, wo seinerzeit Herr Weier Lehrer war. Der hat übrigens damals schon fast 20 Mehrower Dienstjahre "auf dem Buckel" gehabt, was jedoch nichts ist im Vergleich zu den gut 50 Mehrower Dienstjahren seines Vorgängers Hermann Schröder. Wie Frau Dietrich erzählt, wurden bei Herrn Weier die Bauernkinder ziemlich bevorzugt, da es bei deren Eltern immer ordentlich was zu essen gab. Später, bei Lehrer Köppke, erging es ihr als Arbeiterkind dann besser. Der Lehrer war auch viel zugänglicher und hat mit den Kindern Volleyball gespielt. Zwischen beiden war ein Junglehrer an der Schule tätig, an den sie aber keine Erinnerung mehr hat.

1929, in der achten Klasse, ist Frau Dietrich in Ahrensfelde eingesegnet worden. Nach der Schule hat sie dann bei der Rittergutsfamilie Bothe auf dem Feld zu arbeiten begonnen. Über das Ehepaar Bothe weiß sie nur Gutes zu berichten. Max und Anna Bothe (die jüngere Tochter von Robert Stock) waren sehr gutmütig und sind oft gemeinsam durch den Ort spaziert.

Die Rittergutsbesitzer Anna und Max Bothe auf einem Ertefest, ca. 1920 Für die Kinder gab's mitunter Süßigkeiten und zum Erntefest sogar Negerküsse. Wenn ihnen ein kleiner Junge über den Weg lief, ist Herr Bothe ihm mit den Worten "ein schöner Höwejänger" (was soviel wie Knecht heißt) mit der Hand durchs Haar gefahren. Ihr Auto, natürlich das einzige im Dorf, haben Bothes nicht oft benutzt.

Frau Dietrich erinnert sich auch nach an den Tag, als Max Bothe starb (ca. 1930). Sie war gerade auf dem Feld, als die Glocken zu läuten anfingen und jemand mit der Nachricht kam, dass der Gutsbesitzer gestorben sei.

Sie weiß, dass Max Bothe auf dem großen Friedhof in Ahrensfelde beerdigt wurde - das Grab ist aber nicht mehr zu finden, da dort in den letzten Jahren offenbar alle abgelaufenen Grabstellen beräumt wurden.
Frau Elise Dietrich im September 2001

Das ehemalige Gutshaus heute Da ihre Mutter bei Bothes gewaschen hat, weiß sie auch, wie es damals im Gutshaus aussah. Im Erdgeschoss waren Küche, Wohn- und Esszimmer, im Obergeschoss die restlichen Wohn- und Schlafräume - viel Platz für zwei Leute ... Es war damals noch sehr vornehm in dem Haus und in guter Erinnerung sind ihr zwei lebensgroße Bilder von Anna Bothe und deren Schwester Luise, die das Werneuchener Gut nebst Schloss vom Vater Robert Stock geerbt hatte.

Verwalter des Gutes war ein "Major" genannter Herr aus Werneuchen, der jeden Morgen vom Bahnhof Ahrensfelde abgeholt und abends wieder hingebracht werden musste. Sein Büro hatte er zusammen mit zwei Angestellten im ehemaligen Gutsverwalterhaus (Dorfstraße 11).

Mitte der dreißiger Jahre ging es dann wohl mit dem Rittergut ziemlich bergab. Frau Bothe hat angeblich lange versucht, es zu verkaufen, aber wegen der vielen "Brandstellen", d.h. sandigen Flecken in der Flur, fand sich kein Käufer. (Wie wir aus anderen Quellen wissen, hat sich seinerzeit u.a. die Firma Maizena zwecks Anbau bestimmter Maissorten für das Mehrower Gut interessiert, ist dann aber zugunsten eines Landstücks in Nähe des Hamburger Firmensitzes abgesprungen.) 1937/38 wurde das Gut dann an die Siedlungsgesellschaft "Eigene Scholle" verkauft und für die Errichtung einer SS-Siedlung parzelliert. Frau Bothe ist hier weggezogen, wohin genau, weiß Frau Dietrich nicht. Angeblich war damals von Oslo die Rede - wahrscheinlicher ist aber Uslar im Harz, wo Frau Bothe nach Auskunft von Verwandten von ihrem Vater eine Fabrik geerbt haben soll.

Die Molkerei des Gutes, in der Frau Dietrich zuletzt gearbeitet hatte, befand sich beim Verkauf des Gutes schon in der Auflösung. Der Meister Howestedt war bereits nach Werneuchen gegangen, wohin die Molkerei verlegt werden sollte. Frau Dietrich hat solange allein mit einer Kollegin "den Laden geschmissen". Sie war eh die Einzige, die mit der inzwischen sehr störanfälligen Abfüllmaschine klar kam und der Schraubenschlüssel an der richtigen Stelle anzusetzen wusste.

Sie erinnert sich aber gern und stolz an die etwa 5 Jahre, die sie in der der Molkerei gearbeitet hat. Die Mehrower Molkerei stand unter besonderer Veterinär-Aufsicht und hat unter strengen Auflagen, z.B. bezüglich der Anzahl Tiere pro Melker, sogenannte Sanitäts-Milch produziert. Diese qualitativ hochwertige Milch war insbesondere für Kleinkinder gedacht und wurde vorrangig nach Berlin geliefert. Täglich wurden 2500 Flaschen "Gut Mehrower Kindermilch" abgefüllt und abends mit dem LKW ausgeliefert - im Winter einzeln in Zeitungspapier verpackt. Hans Prötzsch, der damals oft als Beifahrer dabei war, erinnert sich, dass die Milch bis zum Berliner Kudamm an Delikatessengeschäfte geliefert wurde.

Der Mehrower Turnverein in den 30er Jahren 1937 hat Elise dann Richard Dietrich geheiratet, von dem wir leider nur das Bild zusammen mit dem Turnverein haben. Sie erinnert sich noch gut an ihren Hochzeitstag, wo sie zu Fuß zur Kirche gezogen sind.

Nach ihrer Schilderung war die Kirche übrigens innen beleibe nicht so schmucklos wie heute. Dort gab es einen großen hölzernen Altar mit einer Kanzel in der Mitte und an den Wänden hingen Gedenktafeln für die Opfer des ersten Weltkrieges.

Nach der Hochzeit haben die beiden zunächst ein Jahr in dem langen Haus neben der Schnitterkaserne gewohnt, da das zum gerade aufgegebenen Rittergut gehörende Haus Nr. 14 renoviert wurde. Danach konnte das junge Paar zusammen mit der Familie des Melkermeisters und zwei Arbeiterfamilien in das renovierte Haus einziehen. 1941 wurde dort, im gleichen Haus wie ihre Mutter, Dietrichs Tochter geboren.

Richard war bei Familie Truchseß, den neuen "Gutsbesitzern" (was nicht ganz korrekt ist, da es sich bei deren Besitz nur noch um einen Teil des ehemaligen Rittergutes handelte), Traktorfahrer und auch mit der Reparatur von Traktoren und Maschinen betraut. Frau Dietrich beschreibt die Eheleute Truchseß als anständig und freundlich. Insbesondere Herr Truchseß war sehr hilfsbereit und hat die Frauen oft mit dem Auto aufs Feld mitgenommen. Im Gutshaus ging es nun sehr einfach zu - die Möbel waren alt und teilweise sogar wurmstichig.

Herrn Truchseß hat es die Familie Dietrich zu verdanken, dass sie 5 Jahre nach der Hochzeit endlich in ein eigenes Haus ziehen konnte. Einer der Neubauern in der SS-Siedlung, der eine Anbaulernstelle zugewiesen bekommen hatte, war den Anforderungen nicht gewachsen und hat nach wenigen Jahren alles hingeworfen.

Haus und Hof waren zu diesem Zeitpunkt schon ziemlich 'runtergekommen, der Garten war verwildert und überall lag noch Bauschutt von 1938 herum. Herr Truchseß hat daraufhin 1942 das Haus mit 12 Morgen Land zu einer sehr moderaten Pacht (260.- RM / Jahr) an das junge Paar gegeben und diese Entscheidung auch mutig gegen seine Partei-Vorgesetzten verteidigt, die beanstandeten, daß ein Haus der SS-Siedlung an "normale Leute" vergeben wurde.
Das Haus von Richard und Elise Dietrich, ca. 1942

Herr Truchseß, der selbst spät eingezogen wurde, aber trotzdem noch im Krieg gefallen ist, hat auch seinen Traktorfahrer Richard Dietrich bei der Wehrmacht als unabkömmlich reklamiert, weshalb dieser erst sehr spät einberufen wurde und nur ein Jahr im Krieg war.

Befragt zur Zeit während des Krieges kann Frau Dietrich kaum etwas Spektakuläres berichten. Das Leben im Dorf verlief nahezu normal, natürlich abgesehen davon, dass viele Männer in den Krieg ziehen mussten und einige nicht zurück kamen. Um die fehlenden Arbeitskräfte zu ersetzen, haben auf fast allen Bauernhöfen ein oder zwei französische Kriegsgefangene gearbeitet, die in der sogenannten Schnitterkaserne (Dorfstraße 19) untergebracht waren und sich frei im Dorf bewegen konnten. Außerdem hat auf jedem Bauernhof ein Mädchen aus der Jugendorganisation der Nazis gewohnt und gearbeitet. Dort, wo später die Familie Klopsteg ihr Grundstück bekam, stand eine Baracke in der zusammen mit ihrem Gruppenführer knapp 20 Hitlerjungen lebten, die auf den Höfen helfen mussten.

Abgesehen von kaputten Fenstern, verursacht durch drei Bomben, die 1944 auf Mehrow gefallen sind (zwei etwa dort, wo jetzt Frau Dr. Unger wohnt und eine auf den Feldern hinter der Schmiede), hat der Krieg hier keine Schäden angerichtet. Die Ruinen stammen aus späteren Zeiten ...

Am 20. April 1945, als die sowjetischen Truppen schon kurz vor der Autobahn standen, haben die SS-Neubauern von morgens an ihre Sachen gepackt und sind im Laufe des Tages gen Westen verschwunden. Am Abend sind dann auch viele der restlichen Bewohner weg - sicher nicht nur, weil es den Befehl zur Räumung gab, sondern auch, weil niemand wusste, wie sich die Besatzer in einem als SS-Siedlung bekannten Dorf verhalten werden ...

Der Abzug der "normalen" Mehrower ging allerdings nicht so komfortabel und sicher voran wie der der Siedler. Frau Dietrich hat sich mit etwa dreißig Leuten auf einen Gummiwagen zwängen müssen. Dass da kein Platz für viel Gepäck war, versteht sich von selbst. Man war froh, heil davon zu kommen, war doch gerade erst in Hönow ein Trecker mit Flüchtenden verunglückt und im Graben gelandet.

Frau Dietrich ist mit ihrem Treck bis nach Schwerin gekommen, wo sie in einer Scheune Zuflucht gefunden hat. Als sie 3 Wochen später zurück kam, war Mehrow besetzt, der Dorfkern gesperrt und das Haus geplündert und ausgeschlachtet. Aber die Befürchtungen, die man in Anbetracht der Besatzungstruppen hatte, haben sich zum Glück nicht alle bewahrheitet. Und auch nicht alle Schäden sind von denen angerichtet worden. Auch manche Leute aus der Umgebung haben die Gunst der Stunde genutzt und sich in den verlassenen Häusern bedient. Einige ihrer Sachen und Möbel hat sich Frau Dietrich später von einem Bauern in Eiche zurück geholt. Der muss Nerven gehabt haben, als er Buffet, Küchenschrank, Bettcouch und 2 Liegen abgefahren hat, während sie sowjetischen Truppen nur noch wenige hundert Meter vom Dorfrand entfernt waren. Aber natürlich sind auch die Besatzer nicht sehr fein mit fremden Sachen umgegangen und haben es sich z. B. mit Teppichen aus den Häusern im Wald gemütlich gemacht.
[Aber in Anbetracht dessen, was die Besatzer in ihrer Heimat erleben mussten, sind das sicher verschmerzbare Konsequenzen ...]

An einen Wieder-Einzug in das Haus war zunächst nicht zu denken, da selbst Fenster und Türen verschwunden waren. Frau Dietrich hat zunächst bei Verwandten in der Bodenkammer gewohnt. Als ihr Mann dann glücklicherweise bald nach dem Krieg nach Hause kaum, ging es aber schnell daran, das Haus wieder bewohnbar zu machen.

Im Zuge der Bodenreform haben Dietrichs als landarme Bauern eine Wirtschaft dazu bekommen und sich eine neue Existenz aufgebaut. Später hat Elise dann bis zur Berentung 1974 auf ihrem Hof für die LPG die Hühner betreut - zuletzt 2600 Stück, trotz gelegentlicher Besuche des Fuchses ...

Ein herber Rückschlag war sicher der schwere Sturm, der im Herbst 1958 in Mehrow gewütet und bei Dietrichs die Scheune weggerissen hat. Die beschaulichen Reste müssen seit dem als Schuppen herhalten. Frau Dietrich trägt's mit Fassung - solange er hält, bleibt er stehen, und wenn er einfällt, kommt er weg.
Dietrichs Haus nach dem Sturm 1958

Ein Schmuckstück ist jedoch das außen und innen hübsch hergerichtete und piek-saubere Vorlaub-Fachwerkhaus mit seinem gepflegten Vorgarten.

Da sieht man schon von weitem, dass dort stets viel Fleiß und Mühe investiert werden.


Wir wünschen Frau Dietrich, dass sie noch lange so gesund ist, dass sie ihr schönes Haus und ihren Garten genießen und "in Schuss halten" kann.

... Ach, die mysteriöse Gruft unter der Kirche haben wir jetzt ganz vergessen - darüber wird aber noch berichtet.