Aus den Schilderungen von Elise Dietrich, die vor dem Krieg in der "Sanitätsmeierei" des Rittergutes Mehrow gearbeitet hat, wußten wir ja schon, dass hier unter besonderer veterinärmedizinischer Aufsicht Kühe gehalten und gemolken wurden und in der Meierei "Sanitätsmilch" produziert wurde, die besonders hochwertig und keimfrei war.
Diese Milch ist mit Fahrzeugen des Rittergutes bis weit nach Berlin hinein an Reformläden, Kinderheime, Krankenhäuser usw. geliefert worden.

Hans Prötzsch erzählte uns, dass er mehrfach als Beifahrer mit unterwegs war. Abends ging es los, oft bis zum Ku'damm, wo verschieden Delikatessengeschäfte zu beliefern waren. Bis morgens um 5 Uhr mußten alle Kunden versorgt sein. Im Winter wurden alle Flaschen einzeln in Zeitungspapier verpackt, damit sie auf der langen Fahrt nicht einfroren.
Er erzählte uns auch, dass hier in Mehrow ein Melker nur 12...15 Tiere zu betreuen hatte, während sonst 30...40 Tiere pro Melker üblich waren. Er schätzte, dass hier ca. 150 Kühe standen, woraus sich eine ziemlich große Schar an Melkern ergab. Hinzu kamen die Mitarbeiter der Meierei und der nach seiner Erinnerung ständig anwesende Tierarzt.

Die Mehrower Sanitätsmeierei befand sich in dem Flachbau in der Mitte des Gutshofes, der nach dem Krieg zu einem Neubauernhaus für mehrere Familien umgebaut wurde und in denen jetzt die Familien Berg (links) und Fehlberg (rechts) wohnen.

Frau Dietrich hat auch noch Bilder beisteuern können, die sie und ihre Kollegin (eine Frau Krause) sowie den Meister Howestädt Mitte der Dreißiger Jahre an der Milchabfüllanlage und vor der Meierei zeigen:



Bei unserer Suche nach Zeitungsberichten über Mehrow und Umgebung sind wir im Zeitungsarchiv der Staatsbibliothek im Niederbarnimer Kreisblatt von 1926 auf folgenden Artikel vom 25. März 1926 gestoßen, der beweist, dass die Mehrower Kindermilch hoch geschätzt wurde und auch überregional große Anerkennung fand:

Mehrow. Das Rittergut war in der vergangenen Woche und gestern Gegenstand einer eingehenden Besichtigung durch Fürsorgeschwestern vom Oesterreichischen Roten Kreuz und Angehörige des Kaiserin-Augusta-Viktoria-Hauses Charlottenburg, Reichsanstalt zur Bekämpfung der
Säuglings- und Kleinkindersterblichkeit. Das Interesse der österreichischen Schwestern, die seit etwa 5 Monaten eine Rundreise durch Deutschland zum Studium der sanitären Einrichtungen unternehmen, galt dem mustergültig eingerichteten Milchwirtschaftsbetrieb, der unter Leitung eines Diplom-Landwirtes steht. Verwunderung erregten die Viehställe mit dem hervorragenden Milchviehbestand, das saubere elektrische Melken und die Einrichtung der Sanitätsmeierei, die während des Betriebes besichtigt werden konnte. Von hier aus geht die "Mehrower Kindermilch" ihren Weg auf eigenen Lastwagen in zwei Stunden nach der Reichshauptstadt.
Die Besucher überzeugten sich ferner in der großen mit modernsten Maschinen eingerichteten 20-Tonnen-Mühle, die im Winter das Rückgrat zur Erhaltung des bedeutenden Viehbestandes bildet, von einer tadellosen Mehl- und Futtermittelherstellung. Außer etwa 400 Stück Rindvieh werden hiervon noch etwa 600 Scheine einschließlich 100 Zuchtsauen und 400 Schafe ernährt. Alles in allem nahmen die Besucherinnen [den] Eindruck mit hinweg, daß das Rittergut Mehrow bestrebt ist, Mustergültiges zu leisten. Vor allem aber bedeutet die Herstellung von Kindermilch (zu genießen von jedermann, dem es auf eine hygienisch einwandfreie Milch ankommt) eine außerordentliche Unterstützung der Volksgesundheit.
Im vergangenen Herbst besichtigten Professoren und Angehörige der russischen Regierung die Mehrower milchwirtschaftlichen Anlagen, die als mustergültig und nachahmenswert gepriesen wurden.
Quelle: Niederbarnimer Kreisblatt vom 25. März 1926, gefunden im Zeitungsarchiv der Staatsbibliothek

Frau Anna Rintelen aus Bremen, eine Enkelin von Albert Stock und damit eine Verwandte von Anna Bothe, unserer letzten Gutsbesitzerin, erinnert sich, dass sie noch zu Lebzeiten von Max Bothe (also vor 1930) einmal in Mehrow war. Max Bothe hat damals ganz stolz seine elektrische Melkmaschine vorgeführt, die seinerzeit noch eine große Besonderheit war.

Hans Prötzsch wußte allerdings zu berichten, dass man ziemliche Probleme hatte, diese Melkmaschine so keimfrei zu halten, daß den hohen Qualitätsanforderungen an "Sanitätsmilch" entsprochen werden konnte.

Nicht ganz problemlos war wohl auch der Betrieb der Rübentrocknungsanlage:
Die Lehmscheune am westlichen Rand des Gutshofes wurde unter Max und Anna Bothe zur Trocknerei ausgebaut. Dort wurden Zuckerrübenblätter geschnitzelt und durch Wasserrinnen zu einem Ofen transportiert, dort getrocknet und anschließend als Futter für die Kühe eingelagert. Dieses "Fließband" soll laut Hans Prötzsch nie so richtig funktioniert haben.

Aber insgesamt sollen Viehaltung, Melkerei und Meierei sehr mustergültig funktioniert haben. Als es Mitte der Dreißiger Jahre mit dem Gut bergab ging, ist laut Frau Dietrich die Meierei einschließlich des Meierei-Chefs nach Werneuchen auf das Gut von Anna Bothes Schwester Frieda Müller verbracht worden.

Von Frau Dietrich und Herrn Prötzsch wußten wir, dass die Milch damals überwiegend in Glasflaschen mit einem Porzellandeckel am Klappbügelverschluß abgefüllt wurde.
Zu gerne hätten wir solch eine Flasche oder zumindest einen der bedruckten Porzellandeckel gesehen oder gar besessen. Aber wo bekommt man sowas her?

Das war exakt der richtige Auftrag an Kurt Berg, der eine Hälfte der ehemaligen Meierei bewohnt. Er erzählte uns, dass er schon mal solche Porzellandeckel auf seinem Grundstück gefunden hat, die dann aber irgendwie wieder verloren gegangen sind. Nun hat er sich den Spaten geschnappt und so lange in seinem Garten herumgebuddelt, bis er erneut auf ein paar dieser Porzellankappen gestoßen ist, die er uns dann stolz überreichte:


Zwei der drei gefundenen Porzellandeckel sind mit "Rittergut Mehrow" bedruckt und noch ganz gut enthalten. Ein dritter ist anders bedruckt und leider nicht mehr richtig zu entziffern. "Rittergut Mehrow" ist im Umkreis noch ganz gut zu erkennen und im quer Gedruckten kann man noch "Kindermilch" erahnen - darunter steht vermutlich was von "... abfüllung".

Und glaich noch eine Überraschung hat Kurt Berg präsentiert: Einen Einen alten Milchflaschenverschluß aus Aluminium, so wie er bis vor wenigen Jahren zumindest im Osten gebräuchlich war.

Auch den hat er in seinem Garten gefunden und vorsichtig gesäubert, bis die geprägte Beschriftung sichtbar wurde:

Sanitätsmeierei
Kindermilch
SONNABEND
Rittergut Mehrow


An alle, die ein ähnliches Glück beim Buddeln im Garten haben, sei hiermit die herzliche Bitte gerichtet, uns von ihrem Finderglück zu berichten und wenigstens ein paar Bilder der gefundenen Raritäten für unsere Webseite beizusteuern.