Bei den Nachforschungen zu Robert Stock und seiner Tochter Anna Bothe, die zuletzt das Rittergut Mehrow besaßen, gibt uns der Mehrower Hans Müller trotz aller Recherchen immer noch große Rätsel auf.

Aus dem Werneuchener Kirchenbuch (in dem für uns Herr Pfarrer Dobbermann aus Werneuchen geblättert hat) wissen wir, dass Anna Bothes Schwester, Robert Stocks ältere Tochter Frieda, 1906 den Mehrower Landwirt Hans Müller geheiratet hat:

Kirchenbuch Werneuchen, Trauregister, 1906 ohne Nummer:

Hans Anton Max Jakob Müller, Landwirt, evangelisch, Mehrow,
Vater: Otto Pius Müller, Rentier, Charlottenburg, katholisch, geb. 7.2.1883,
Standesamt Treptow bei Berlin, den 4.10.1906,
mit Frieda Maria Luise Stock, Treptow bei Berlin,
Vater: Carl Christian Robert Stock, Fabrik- und Rittergutsbesitzer in Treptow bei Berlin,
geboren 8.9.1882, Jungfrau,
am 4.10. 1906 in der Villa des Herrn Stock in Treptow ...


Aber wo stammte Hans Müller her, wie ist er nach Mehrow gekommen, hat er Frieda hier oder schon vorher kennen gelernt ?

Wir haben in Ahrensfelde im Mehrower Kirchenbuch gesucht und dort am 7.2.1883 keine Geburt eines Hans Müller verzeichnet gefunden. Wenn wir zwanzig, dreißig Jahre im Kirchenbuch (das ab 1853 vorliegt) zurück blättern, können wir auch die Geburt seines Vaters nicht finden - aber da er als katholisch ausgewiesen ist, wäre seine Geburt vermutlich auch dann nicht im evangelischen Kirchenbuch vermerkt worden, wenn er hier geboren wäre.

Im Kirchenbuch taucht nur am 2.2.1854 die Geburt einer Friederike Justine Müller auf, deren Vater Friedrich Müller als Bauer und Schulze ausgewiesen ist, und deren Mutter Marie Luise eine geborene Bredereke ist.

Dies und die Tatsache, dass sein Vater 1906 als Charlottenburger Rentner ausgewiesen ist, lässt die Vermutung zu, dass Hans Müller in Charlottenburg (das damals noch nicht zu Berlin gehörte) geboren wurde und hier zugezogen ist.

In der am 20. Dezember 1900 ausgefertigten Staatssteuerliste für 1901 sind hier in Mehrow vier "Landwirthe" aufgeführt:

Adolf Thürling, Dorfstraße 5 (jetzt 16),
Karl Brederecke, Dorfstraße 6 (jetzt 17),
Wilhelm Müller, Dorfstraße 19 (jetzt 4),
Ernst Meißner, Dorfstraße 20 (jetzt 2).

Das deckt sich also mit unserer Kenntnis von den ehemals vier Bauernhöfen neben dem Rittergut. Darunter ist der "Müllersche Hof" - aber die Besitzer waren offensichtlich nicht die Eltern unseres Hans Müller: sein Vater hieß Otto, der hiesige Landwirth aber Wilhelm ...

Das Bild rechts zeigt den sogenannten "Müllerschen Hof" (jetzt Dorfstraße 4) in den dreißiger Jahren, aufgenommen von Anna Bothe.


Aus Wilhelm Ode's Chronik unseres Ortes, erschienen 1940 im Buch "Zwischen Schorfheide und Spree" wissen wir, dass 1911 in Mehrow durch Robert Stock der letzte Auskauf eines Bauernhofes erfolgt ist:

... Bei der Versteigerung im Jahre 1884 wird das Gut der meistbietenden Ritterschaftsbank zugeschlagen. Von ihr kauft es im Jahre 1900 der Fabrikant Robert Stock. Durch ihn erfolgt 1911 der letzte Auskauf eines Bauernhofes. ... Seit 1911 gab es nur noch 3 Höfe im Ort und die Einwohnerzahl betrug in den letzten Jahrzehnten wenig über 300.

Und tatsächlich finden sich in den Güteradreßbüchern, die wir (ab 1914) durchforstet haben, in Mehrow neben dem Rittergut nur noch drei zur Gemeinde gehörende Güter:

Name des Gutes Name des Besitzers Grundsteuer-Reinertrag Größe in Hektaren davon Acker

1914 / Mehrow
Mehrow, Rittergut Roberts Stock'sche Erben in Berlin 9947 M 517 392
Mehrow, Gut zu Gem. geh. Emilie Brederecke 775 M 38,3 32,8
Mehrow, Gut zu Gem. geh. E. Meißner 758 M 30 27,5
Mehrow, Gut zu Gem. geh. Ad. Thürling 1150 M 43 40,5
Verwalter des Rittergutes: II. Krause, Administrator

Quelle: Niekammer's Güter-Adreßbücher, Bd. VII Brandenburg,
Leipzig, Reichenbach'sche Verlagsbuchhandlung

Der Müllersche Hof (ehemals Dorfstraße 20, jetzt Dorfstraße 4) im Winter und Frühjahr 2003

Verschwunden ist also der Müllersche Hof, statt dessen taucht ein Hans Müller aus Mehrow an der Seite von Robert Stocks Tochter Frieda als Guts- und Schlossbesitzer auf dem ebenfalls von Robert Stock erworbenen Gut in Werneuchen auf - das sieht ganz nach einem innerfamiliären Ländereientausch aus.

Das soll uns nur recht sein, denn welcher Mehrower hat es sonst zu einem Schloss gebracht?

Die Berliner Morgenpost berichtet am 28.7.1998 unter "Spurensuche: Alte Herrenhäuser - Der Park und das verfallene Schloß" wie folgt über das Müllersche Anwesen:

... Es ist Schloß Werneuchen und wurde 1913 im Stil der französischen Renaissance errichtet. Dahinter erstreckt sich ein Park, dessen einstige Schönheit noch einige große Bäume wie Linden, Eichen und Blutbuchen erahnen lassen. Jetzt ist er durch eine häßliche Baracke und Garagen entstellt.

... Anfang des 20. Jahrhunderts erwarb der Berliner Motorpflugfabrikant Stock das Anwesen, dessen Schwiegersohn Hans Müller 1913 den heutigen Bau anstelle der einstigen Poststation errichten ließ. Nach Enteignung Müllers durch die Bodenreform wurde im Erdgeschoß des Schlosses eine Schule eröffnet und darüber Wohnungen eingerichtet. Nachdem Anfang der siebziger Jahre die Schule auszog, bekamen die noch hier Wohnenden andere Quartiere. Das Schloß stand leer und verfiel. 1990 verzichtete Otto Müller auf sein Erbe und gab es der Stadt.

Quelle (Text): http://morgenpost.berlin1.de/archiv1998/980728/brandenburg/story213517.html

Nach einigen Jahren Dornröschenschlaf hat sich dort einiges getan: das Haus wurde neu verputzt, neu eingedeckt, mit neuen Gauben, Fenstern und Türen versehen und wird nun auf der Hofseite wieder mit einer großen Terrasse versehen. Sobald die künftige Nutzung fest steht, wird auch der Innenausbau forciert.

Die historischen Bilder stammen aus dem Nachlaß von Frau Bothe und wurden uns freundlicherweise von Frau Eva-Margot Müller (Alfeld) zur Verfügung gestellt.


Der im Ausbau befindliche Werneuchner Schloß im Frühjahr 2004 (links: Vorderseite, rechts Rückseite)

Die Terrasse des Schlosses ist uns übrigens nicht ganz unbekannt:

Als Hans' Schwägerin, Friedas jüngere Schwester Anna, 1918 im Müllerschen Schloss ihren Max Bothe geheiratet hat, wurden offenbar einige der Außenaufnahmen genau auf dieser Terrasse gemacht.

Überhaupt war das Werneuchener Schloss für die Verwandtschaft ein stets offenes Haus und für Hans' Familie ein trautes Heim. Da wir seine Frau und seine Söhne nicht übergehen wollen, haben wir seiner Familie einen separaten Beitrag widmen.

Hier wollen wir nur noch kurz noch einen Blick auf das werfen, was Hans so allein oder mit anderen Herren aus der offenbar recht vergnügten Verwandtschaft angestellt hat.

Eine Leidenschaft hat Hans Müller wohl mit allen Männern der Verwandtschaft gepflegt: Die Jagd.

Auch von seinem Schwiegervater, unserem Robert Stock, sind Bilder überliefert, wo er mit einem kapitalen Hirsch posiert. Für die Ausübung dieser Leidenschaft gab es offenbar keinen besseren Ort als Sophienwalde, jenes Gut im Pommern, das Robert Stock zusammen mit den Gütern in Mehrow, Werneuchen und Saarmund gekauft hatte und das sich (benannt nach seiner Frau Sophie) offenbar zum stets beliebten Treffpunkt der Familie in der Sommerzeit entwickelt hat.

Die erlegten Rehe und Hirsche sollen auch immer mal bei "Falkenberg", dem Besitzer des Berliner Ratskellers gelandet sein, wo man gern eingekehrt ist. Der hat das Fleisch in Buttermilch eingelegt und so noch Wochen später als "Frisches Wild" verkaufen können.

Die Jagdgesellschaft Stock-Müller-Bothe war offenbar so emsig bei der Jagd, dass die Geweihe des erlegten Wildes bald nicht mehr alle in Sophienwalde an die Wand passten und deshalb auch Einzug ins Werneuchener und in unser Mehrower Schloss hielten. Von der Geweih-geschmückten Eingangshalle des Mehrower Schlosses haben wir ja ein paar Bilder in Anna Bothes Nachlaß gefunden.


Und auch wenn es um's Feiern ging, war Hans offenbar kein Kind von Traurigkeit. Da kam es dann schon mal vor, dass eine muntere Männerunde erst ganz brav aus einer Sophienwalder Kneipe einen Kartengruß an Anna nach Mehrow schickt und ein paar Gläser später noch einen an ihren Gatten Max hinterher schickt.

Die scheinbar glückliche Zeit in Werneuchen und Sophienwalde nahm nur leider viel zu schnell ein jähes Ende - 1934 ist Hans' Frau im Alter von nur 52 Jahren gestorben. Er selbst musste 1945 das Gut und Schloss in Werneuchen verlassen.
Der "Neue Tag" (Heimatzeitung für den Kreis Bernau) hat am 4.9.1955 anlässlich des 10. Jahrestages der Bodenreform gehöhnt:" 'Herr' Müller fuhr in einem Mercedes-Auto davon ":


"Wie es 1945 in Werneuchen aussah, wollen Sie wissen?" sagte zu uns der Tierzuchtbrigadier der LPG "Ernst Thälmann" als wir uns an ihn wandten. "Ja, das kann ich nur sagen - traurig!" Das Gut in Werneuchen gehörte dem "Herrn" Müller, der ein Schwiegersohn des Besitzers der Stock-Werke war. Da ihm der Boden zu heiß wurde, fuhr er mit einem Sechssitzer-Mercedes auf und davon zum "Schwiegerpapa". Das Gut wollte er aber noch nicht aufgeben und ließ es von seinem Schwager, einem Major Ruppert verwalten. Als er im Herbst 1946 zurückkehrte, und sein Gut wieder übernehmen wollte, sagten ihm die Bauern ein paar passende Worte. Er fuhr fort und ward nie mehr gesehen. ...

Nun ist dies nicht der richtige Platz, Ziel und Art der Bodenreform zu bewerten, aber der Umstand, dass die Familie Müller zeit Lebens Horch (Audi) statt Mercedes fuhr und der verhöhnte "Schwiegerpapa" (unser Robert Stock), zu dem der Hans geeilt sein soll, damals schon über 30 Jahre tot war, bedarf doch der Richtigstellung.

Hans Anton Max Jakob Müller ist am 11.11.1953 im Alter von 70 Jahren gestorben.