Vor einiger Zeit gab uns ein Brief eines "geheimnisvollen Carl" an seinen "Papa" Robert Stock Anlaß zu Spekulationen, ob dieser vielleicht neben den beiden Töchtern Frieda und Anna noch einen unehelichen Sohn hatte. Inzwischen ist in jenem Teil des Nachlasses von Anna Bothe (unserer letzten Gutsbesitzerin), der sich bei Familie Müller in Nordhorn befindet, weitere Post an Robert Stock aufgetaucht, die unsere Spekulationen nährt, aber in eine etwas andere Richtung führt.

Der Brief stammt von einer Else Ruppert, wohnhaft in Olmütz, Franz Josefsstraße 138, und ist adressiert an
Hochwohlgeboren, Herrn Robert Stock, Gutsbesitzer
Sophienwalde, Post Roman, Pommern (Deutschland)

Das ist "unser" Robert Stock, das heißt jener Berliner Fabrikant, der im Jahre 1900 seine florierende Telefon-Firma verkaufte und sich dafür neben anderen Gütern das Rittergut Mehrow und einen Landsitz in der Nähe von Kolberg zugelegt hat, den er nach seiner Frau Sophie "Sophienwalde" genannt hat.


Olmütz, den 8.9.07
Lieber Papa!

Für die uns durch Anni übermittelte freundliche Einladung Euch in Sophienwalde zu besuchen, danken wir Dir, lieber Papa sowie Deiner lieben Frau Gemahlin herzlichst. Leider ist es uns diesmal nicht möglich der selben Folge zu leisten, da Carl dienstlicher Verhältnisse halber vor Mitte November absolut nicht abkommen kann. Entschuldigt uns also für diesmal.
Es wird uns jedoch ein großes Vergnügen sein von der lieben Einladung ein anderes Mal Gebrauch zu machen.
Wie ich von Friedel erfuhr, geht es Euch allen sehr gut und seid Ihr alle wohlauf, was mich sehr freut. Sehr bedauerte ich Mama und Annchen nicht mehr in Werneuchen angetroffen zu haben, ich hätte gern einige Tage mit ihnen dort verbracht. Hoffentlich trifft es sich das nächste Mal besser.
Sehr viel Freude machte mir mein kleiner Neffe Robert, er ist ein so liebes, aufgewecktes Kind. Gott erhalte ihn uns immer so gesund wie bisher. Hat er die lange Autofahrt gur überstanden? Friedel und Hänschen freuen sich sehr auf den Aufenthalt bei Euch in Pommern. Hoffentlich haben wir einen recht schönen Herbst, so daß Ihr viel im Freien sein könnt.
Du lieber Papa jagst wahrscheinlich sehr viel und bringst, als bekannt brillanter Schütze, immer eine reiche Jagdbeute nach Hause.
Nun lieber Papa muß ich aber schließen, also nochmals unseren herzlichsten dank für die liebe Einladung, von der wir gewiß ein anderes Mal Gebrauch machen werden.
Mit den besten Grüßen und Küssen an Euch alle verbleibe ich und Carl
Eure aufrichtige
Else Ruppert

Wenn wir davon ausgehen, dass Robert Stock nicht gleich eine ganze Schar unehelicher Kinder hatte, sondern der in diesem Brief erwähnte "Carl" der ehemals verdächtigte geheimnisvolle Carl und zugleich der Ehemann von der Briefschreiberin ist, stellt sich die Frage, wer denn nun von beiden Robert Stock als "Papa" hat.

Dabei deutet alles darauf hin, dass die Briefschreiberin eine Tochter von Robert ist und damit ihr Ehemann Carl sein Schwiegersohn. Beiden stünde es dann zu, Robert Stock mit "Papa" anzusprechen.
Seine Ehefrau Sophie wird zwar weiter hinten im Brief als "Mama", aber eingangs als "Deine Gemahlin" tituliert, was darauf hin deutet, dass sie nicht Else's oder Carl's leibliche Mutter ist. Aber das Verhältnis scheint entspannt zu sein, sonst wären die beiden wohl nicht auf Stock's Sommersitz in Sophienwalde eingeladen worden. Auch zu den (Stief-) Schwestern Frieda und Anna scheint ein gutes Verhältnis zu bestehen, denn die tauchen als 'Friedel' und 'Anni' im Brief auf und Frieda's Mann Hans wird 'Hänschen' genannt. Bei Frieda und Hans Müller in Werneuchen war Else gerade erst zu Besuch. Müllers Sohn Robert wird von Else als "mein Neffe" bezeichnet.

Ein Herr Ruppert bzw. "Major Ruperti" taucht später, nach dem Tod von Max Bothe (dem Ehemann der in Mehrow ansässigen Stock-Tochter Anna) bei Streitigkeiten um einen Schweinestallneubau als Vertreter des Rittergutes Mehrow auf. Dabei handelt es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um jenen 'Major Ruppert', der nach Erzählungen älterer Mehrower (Frau Dietrich und Herr Prötzsch) mehrmals die Woche aus Werneuchen kam und mit dem Fuhrwerk in Ahrensfelde abgeholt werden musste. In Werneuchen hat er angeblich eine Verwalter-Funktion auf dem Gut von Hans Müller und seiner Frau Frieda (der älteren der beiden offiziellen Stock-Töchter) gehabt. In einem Zeitungsartikel aus den 50er Jahren, der allerdings wegen einiger verdrehter Datails nicht ganz für bare Münze genommen werden kann, ist die Rede von einem Schwager (womit dieser Herr Ruppert gemeint war) der den davongejagten Gutsbesitzer Müller vertrat.

Zum 10. Jahrestag der demokratischen Bodenreform
"Herr" Müller fuhr mit einem Mercedes-Auto davon
... Das Gut in Werneuchen gehörte dem "Herrn" Müller, der ein Schwiegersohn des Besitzers der Stock-Werke war. Da ihm der Boden zu heiß wurde, fuhr er mit einem Sechssitzer-Mercedes auf und davon zum "Schwiegerpapa". Das Gut wollte er aber noch nicht aufgeben und ließ es von seinem Schwager, einem Major Ruppert verwalten. Als er im Herbst 1946 zurückkehrte, und sein Gut wieder übernehmen wollte, sagten ihm die Bauern ein paar passende Worte. ...
"Neuer Tag" (Heimatzeitung für den Kreis Bernau) vom 4.9.1955
Anmerkungen: a) Der Schwiegerpapa, zu dem Herr Müller 1945 geflüchtet sein soll, war schon 33 Jahre tot.
b) Die Familie Müller fuhr ausschließlich Horch-Autos (Audi) - Mercedes war verpönt.
Interessant (wenn wahr) ist aber die Auskunft, dass Herr Ruppert der Schwager von Herrn Müller war.


Je nach Betrachtungspunkt ergeben sich da verschiedene Varianten von Verwandschaftsverhältnissen. Aus Sicht von Frieda Müller wäre Carl ein Schwager, wenn er der Mann einer (Stief-) Schwester wäre, also dann, wenn Else ihre (Stief-) Schwester wäre. Aus der Sicht von Hans Müller wäre Carl nur dann ein 'echter' Schwager, wenn er ein (Stief-) Bruder seiner Frau Frieda wäre, andernfalls 'nur' ein Schwibb-Schwager. Aber wer weiß, ob damals soviel Wert auf diesen Unterschied gelegt wurde - heute wird in der Regel auch in beiden Fällen gleichermaßen der Begriff 'Schwager' verwendet.

Es steht damit also im Rennen von Else und Carl um die Stock'che Kindschaft etwa 1,5 : 1 für Else. Das heißt, ganz sicher können wir anhand der bisher gefundenen Dokumente nicht klären, ob Frieda und Anna noch eine weitere Schwester oder aber einen Bruder hatten. Ein bischen spannend kann es ruhig bleiben, das erhöht den Reiz, nach weiteren Unterlagen zu suchen.

Widmen wir uns nochmal kurz dem Ehepaar Ruppert: Elses Brief an "Papa" Robert Stock ist vom 8. September 1907 und kommt aus Olmütz (dem heutigen Olomouc) in Böhmen, wo offenbar beide in der Franz-Josef-Straße wohnen. Carls Karte vom 18. November 1910 kommt aus Krakau. Beide lebten vermutlich zu dieser Zeit noch in jener Gegend.

Unter den Glückwunsch-Telegrammen zur Hochzeit von Anna Stock und Max Bothe am 29. Juni 1918, die Anna sorgfältig zu einem Buch binden lies, findet sich auch ein Telegramm von Carl und Else Ruppert aus Tirol:

Herzlichste Glückwünsche dem
Jubelpaare.
Else und Carl
Brixen b. Bozen
Tirol
Villa Lugeck

Auf der Rückseite des Telegramms ist nochmal fein säuberlichder Absender notiert:
"Rittmeister Ruppert und Frau, Brixen bei Bozen, Villa Lugeck"

Dass die Beiden, die ja offenbar ein gutes Verhältnis zu Anna hatten, nicht bei deren Hochzeit anwesend waren, sondern telegrafisch gratulieren mussten, ist allerdings seltsam. Das Telegramm stammt aus dem schönen Tirol und man könnte vermuten, dass Carl und Else dort Urlaub machten, den man auch hätte unterbrechen können. Aber im Juni 1918 war noch Krieg und der 'Rittmeister Carl Ruppert' vermutlich beim Militär. Da kann es schon sein, dass er unabkömmlich war.

Ein Jahr später, zu Pfingsten 1919, sind Anna und Max Bothe mit einer größeren Gesellschaft in Mehrow, wovon uns einige Bilder überliefert sind. Am spektakulärsten ist dabei das im Weinkeller des Mehrower Gutshauses (auch "Schloss" genannt) aufgenommene Bild, das die teilweise noch vorhandene Wandbemalung zeigt.
Rechts im Bild sind Anna und Max Bothe (dicht am Weinregal ...), der Mann daneben in der Bildmitte soll angeblich Carl Ruppert sein und die Dame links von ihm ist dann vermutlich seine Frau Else.